Heft 
(2017) 104
Seite
16
Einzelbild herunterladen

16 Fontane Blätter 104 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes einen neuen Briefbogen eben ein»Extrablatt« beginnen, wenn ihm noch zwei leere Seiten zur Verfügung standen? Das wäre ganz gegen seine Gepflogenheiten gewesen. Bei einer Untersuchung sämtlicher überlieferter Briefe Fontanes an Brahm stellte sich heraus, dass das Original des ›Extrablattes‹ gar nicht fehlt, sondern einem anderen Brief zugeordnet ist: dem Brief Fontanes an Otto Brahm vom 11. April 1883. 18 Auch hier ließen sich keinerlei inhaltliche Querverbindungen zwischen dem Brieftext und der Nachschrift feststel­len. Lediglich der materielle Befund schien diese Zuordnung zu bestätigen. Der Brief vom 11. April 1883 besteht aus einem Bogen; Vorder- wie Rück­seite waren bereits unter weitgehender Ausnutzung des Platzes, auch der Seitenränder, mit dem Brieftext gefüllt. Hier also wäre tatsächlich ein wei­teres Blatt, ein»Extrablatt« notwendig gewesen, um dem Mitteilungsbe­dürfnis in Sachen»Brahm-Fall« Raum geben zu können. Zudem stimmen Schreibduktus und Materialität(Papierart, Art der Falzung, Tinte) der Nachschrift weitgehend mit dem Brief vom 11. April 1883 überein. Damit stand die Frage zur Klärung, zu welchem Brief Fontanes»Extra­blatt« gehört. Eine Kontextrecherche war unumgänglich. Ansetzen konnte diese beim»Brahm-Fall«, den Pniower in seinem Kommentar knapp als »Affäre zwischen Brahm u. dem Direktor des Wallnertheaters Lebrun« er­läutert hatte. 5. Der»Brahm-Fall«. Materialien zum Kontext von Fontanes»Extrablatt« Was es mit dieser»Affäre« auf sich hat, lässt sich teils der Tagespresse, teils der von Paul Schlenther verfassten biographischen Würdigung des gerade verstorbenen Brahm entnehmen, die im Februar und März 1913 in der Neuen Rundschau erschien. Schlenther gab in diesen Erinnerungen an den befreundeten Kollegen unter anderem eine Darstellung des wechsel­seitigen Boykotts von Wallner-Theater und Vossischer Zeitung. 19 Im Mai 1881 war Brahm als Nachfolger des verstorbenen Max Remy Referent der Vossischen Zeitung für die Privattheater geworden. Er gehörte damit zum Kollegenkreis Fontanes, der über das Königliche Schauspiel referierte. Als dritter Theaterkritiker neben den beiden war Ludwig Pietsch tätig. In der Würdigung Schlenthers erscheint Brahm als ein unbequemer Mitarbeiter, der von der in literarischen Dingen konservativen Redaktion zunehmend mit Misstrauen beäugt wurde, da er sich immer stärker dem modernen Theater zuwandte. Von Anfang an führte Otto Brahm, so Schlenther,»eine ziemlich scharfe, wenigstens für damalige Zeiten scharfe kritische Feder«, die»unter den Angegriffenen und ihrem Anhang großes Ärgerniß erregte. Redaktion und Eigentümer wurden durch mancherlei Klagebriefe behelligt.« Diese allgemeine Charakteristik voranschickend,