20 Fontane Blätter 104 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes angenehm sein, wenn ein hochangesehenes Blatt, wie die ›Vossische Zeitung‹, bei der unliebsamen Angelegenheit in Mitleidenschaft gezogen ist, und ich wiederhole: den Referenten – mit der einzigen Ausnahme – steht der Eintritt in mein Theater stets offen. – Ob die Herren davon Gebrauch machen, oder nicht, stelle ich anheim, jedenfalls werde ich ihnen niemals ihr freies Urtheil verkümmern, sofern es sich in den unter gebildeten Leuten feststehenden Grenzen der Wohlanständigkeit kund giebt – andererseits aber werde ich es mit möglichster Fassung ertragen, wenn die ›Vossische Zeitung‹ von der Existenz des Wallner-Theaters in Berlin keine Notiz nimmt. Achtungsvoll Dir. Lebrun.« Die Vossische Zeitung kommentierte diesen Protest-Brief des Theaterdirektors lakonisch:»Auch aus Briefen an eine andere Redaktion ist uns dieser Tage bekannt geworden, daß die Empfindlichkeit des Herrn Direktor Lebrun ihm mißliebige Besprechungen seines Theaters als Schmähungen und Beschimpfungen, Verunglimpfungen, Insulten u. degl. zu betrachten und zu bezeichnen beliebt. Im Uebrigen haben wir auch nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß der sicherste Weg, einen dem Herrn Direktor Lebrun genehmen Referenten zu finden, der wäre, wenn wir es ihm überließen, selbst den Referenten der ›Voss. Ztg.‹ für sein Theater auszusuchen. Daß wir dazu nicht gewillt sind, ist eben der Streitpunkt, und dadurch erledigt sich denn für Herrn Lebrun wohl auch der Eingang seines Schreibens.« Um dem Publikum die Möglichkeit zu verschaffen, sich selbst eine Meinung über den Streitfall zu bilden, druckte die Zeitung die inkriminierte Rezension noch einmal in Gänze ab, was es nicht zuletzt anderen Zeitungen erleichterte, die Geschichte aufzugreifen. Genau das tat etwa die Kreuz-Zeitung, die den Skandal einige Tage später referierte, indem sie die Erklärung der Vossischen Zeitung und einen umfangreichen Auszug aus dem Brief Lebruns abdruckte und hinzufügte: »Das Schreiben des Herrn Directors Lebrun besagt, daß der Director, indem er sein ›Hausrecht‹ gegen den bezeichneten Referenten gebrauchen zu müssen meinte, es nicht etwa auf ein sogenanntes Attentat gegen die öffentliche Kritik überhaupt abgesehen. Das aber, scheint uns, ist das Wesentliche in dieser Sache, die weiter untereinander auszumachen wir den beiderseitigen Betheiligten überlassen müssen.« 25 Dies war im Wesentlichen auch das Urteil, das auf der Tagung des Vereins Berliner Presse gefällt wurde, der am 4. April 1883 den»Brahm-Fall« verhandelte. Die Kreuz-Zeitung brachte dazu am 10. April 1883 einen Kurzbericht: »-nn Der erwähnte Streitfall zwischen der ›Vossischen Zeitung‹ und der Direction des Wallner-Theaters ist in der jüngsten Versammlung des Vereins ›Berliner Presse‹ zur Sprache gebracht und schließlich die Resolution angenommen worden: der Verein gehe zur Tagesordnung über, da das Recht der freien Kritik, insbesondere das Recht der Presse, selbständig
Heft
(2017) 104
Seite
20
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten