Ein»Extrablatt« für den jungen Kritiker-Kollegen Trilcke; Möller 21 ihre Kritiker zu bestellen, durch das Verhalten der ›Vossischen Zeitung‹ genügend gewahrt erscheine.« 26 6. Der»Brahm-Fall« und die symbolische Ökonomie der Massenmedien Nach einem kurzen, heftigen Schlagabtausch ging die Berliner Presselandschaft wieder zur»Tagesordnung« über. Zwar fühlten sich, wie Schlenther berichtet,»[v]om tragikomischen Schicksale Brahms[…] einige andere Kritiker mitgetroffen. Dennoch scheiterte eine gemeinsame Boykottierungsaktion am Widerstand anderer, der sich zum Teil auch gegen Brahms Person richtete.« 27 Fontane hingegen solidarisiert sich, wenn auch nicht öffentlich, auf seinem»Extrablatt« mit dem jungen Kollegen. Dass er seine kleine Beistands- und Ermunterungsadresse an Otto Brahm, wie Friedrich Fontanes Datierung der Nachschrift auf den 14. Oktober 1883 behauptet, erst ein halbes Jahr später übersandt haben soll, erscheint höchst unwahrscheinlich, zumal der Text auf dem»Extrablatt« ohne jede Über- oder Einleitung auskommt. Und mehr noch: Wenn Fontane in seiner Nachschrift vom»Uebergehen zur Tagesordnung« schreibt, dann greift er eine Formel auf, die, wie soeben zitiert, von der Kreuz-Zeitung am 10. April in Zusammenhang mit dem»Brahm-Fall« verwendet worden war – einen Tag, bevor Fontane am 11. April 1883 einen Brief an Otto Brahm verfasste. Es spricht also auch inhaltlich vieles dafür, Fontanes»Extrablatt« zum»Brahm-Fall« als Beilage zu diesem Brief zu deuten oder in dessen unmittelbare zeitliche Nähe zu rücken. Umso bemerkenswerter ist allerdings die abgeklärte Distanz, mit der Fontane sich an den jungen Kollegen wendet. Auf engstem Raum analysiert er die»Affäre« aus zwei Perspektiven. Da ist zunächst die persönliche Perspektive auf den Akteur Otto Brahm. Dass dieser in der Öffentlichkeit massiv angegriffen wurde, spielt für Fontane kaum eine Rolle: Die medienpolitische Grundformel, dass auch schlechte Nachrichten die Aufmerksamkeit steigern, dass also auch und vielleicht gerade solche ungerechtfertigten Anfeindungen einem jungen Kritiker helfen können, seine Reputation im journalistischen Feld aufzubauen – diese Grundformel ist für Fontane offenbar gesetzt. Und zumindest die offene Attacke auf etablierte Institutionen des Theaterbetriebs kannte Fontane aus eigener Erfahrung. Immerhin hatte er selbst sich gleich zu Beginn seines Kritiker-Amtes mit Karl Gutzkow angelegt, der damals noch eine literarische Großmacht war und der sich dann auch erbittert bei der Redaktion der Vossischen Zeitung beschwerte über diesen»wüthendsten, alle Billigdenkenden im Berliner Publikum geradezu erschreckenden Anfall« durch den neuen Theaterreferenten, der, selbst ein politischer Opportunist, nun als»Denunciant« gegen ihn, Karl Gutzkow, auftrat. 28
Heft
(2017) 104
Seite
21
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