Heft 
(2017) 104
Seite
32
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32 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Alle Zuschreibungen, Allusionen, Assoziationen und historischen Ablei­tungen sind mindestens doppelt lesbar, nämlich in der Perspektive des­sen, der sie äußert oder dem sie zugeschrieben sind, und als das Gegenteil davon, insofern als die perspektivische Einschätzung im Sinne des auto­poetischen Mottos ihr Gegenteil in sich trägt oder zumindest mitdenkt. Alternativen zu dem ursprünglich Gemeinten werden oft andernorts ex­plizit namhaft gemacht. So erscheint St. Arnaud sowohl über eine Na­mensgleichheit mit der Wiedererrichtung wie über seine Rolle im Krieg von 1870-71 mit dem Ende der bonapartistischen Monarchie assoziiert. Das Spiel der unsicheren Bedeutung setzt sich in verschiedene Bereiche fort, welche die Konstellationen der zentralen Handlung gebrochen und in entsprechender Ambivalenz spiegeln und von sich aus auf die Wahrneh­mung der Handlung zurückstrahlen. Selbst die anfänglich von der Hotel­terrasse beobachteten Schwalben stehen simultan für ›Haschen‹ und ›Spielen‹(schon an dieser frühen Stelle erotische Unstetigkeit und Bewe­gung konnotierend) wie für die Stabilität des ›Nistens‹(147); der Text lässt allerdings offen, welchem der Attribute in ihrer Übertragung auf Cécile die Priorität zufällt. Die Zweiteilung in Behauptung und Alternative bzw. Gegenteil als Prinzip des Textaufbaus begegnet über die gesamte Handlung hinweg auf allen Ebenen des Textes; sie setzt sich von der Makrostruktur der Gesamt­gliederung in einen Harzer und einen Berliner Teil in der Figurenanord­nung und in der Mikrotextur der überwiegend zweigliedrigen Beobach­tungen, Kommentare, Werturteile und anderen Einschätzungen fort. Fast alle Handlungspersonen um das zentrale Trio herum fügen sich zu Paaren zusammen: die beiden Berliner Touristen, der Emeritus und der Privatge­lehrte Eginhardt aus dem Grunde, die beiden Wortführer auf der Arnaud­schen Tischgesellschaft General von Rossow und Geheimrat Hedemeyer. Selbst die Tierzeichnerin Rosa Hexel wird im ersten Handlungsteil mit dem Präzeptor Rodenstein und im zweiten Handlungsteil mit dem Hofpre­diger Dörfel zu einem Zweigestirn mit jeweils verwandter Funktion zu­sammengebunden. Das Verhältnis dieser Sekundär-Paare zueinander ist durch ähnliche Ambivalenz gekennzeichnet wie dasjenige zwischen den beiden männlichen Protagonisten St. Arnaud und Gordon. Antagonismus, wechselseitige Ergänzung und Gemeinsamkeit überlagern und ermögli­chen sich: so wenn der Emeritus und der Privatgelehrte in schrulliger Ein­tracht um das Primat der askanischen bzw. hohenzollernschen Wurzeln des gegenwärtigen Preußen streiten, wenn die Berliner Touristen sich in wohleingespielter Grobschlächtigkeit aufblähen, wenn der reaktionäre und der liberale Dinergast diametral entgegengesetzte politische Meinungen repräsentieren und radikal unterschiedliche Lösungen für die vermeintli­che politische Misere anbieten, sich jedoch einig sind ob der Halbherzigkeit der Nationwerdung und des Verlusts an Selbstverständlichkeit. In jedem