34 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte die Einnahme einer definierbaren personalen Perspektive aus der auktorialen Machtvollkommenheit des Herrschers über die eigene Erfindung behauptet, der Privatgelehrte habe»wie die meisten Pedanten, etwas von einem Faun«(231). Die Besserwisserei der zur Karikatur aufgebauschten Gestalt des Privatgelehrten Eginhard aus dem Grunde(ein als in einer früheren Generation angenommener Name in den Zusammenhang mit Gordon und St. Arnaud gehörig) 9 verrät hier Bedürfnis nach Anerkennung, und aus diesem Bedürfnis wiederum erklärt sich der Eindruck eines gewissen Balzverhaltens, eines Werbens, das über die Figur des Faun als grotesk stigmatisiert wird. Solche Formulierungen postulieren nicht nur Gegensätze, was durchaus auch anders aufgefasst werden kann(so im Lichte Schopenhauers Herz und Wille als analoge Lebenskräfte). Im zweiten Beispiel noch deutlicher zu erkennen werfen sie vielmehr auch die Frage nach dem Verhältnis der Komponenten auf, hier von Pedanterie und Faunischem, also dem Formal-Steifen und dem Geckenhaft-Lüsternen, und damit nach der inneren Verwandtschaft von äußerlich scheinbar inkompatiblen Eigenschaften. Das verunsichernde Element liegt auch in der stillschweigenden Setzung einer Verallgemeinerbarkeit solcher Aussagen, die als gegeben proklamieren, was doch prinzipiell offen ist. Die dualistische Vermessung der Welt erfolgt in der Form von Zuschreibungen, Selbstaussagen, gesprächsweisen Kommentaren zur Lage durch Handlungspersonen wie durch eine Erzählerstimme, die sich allerdings oft ihren Gegenständen anschmiegt, also eher im Sinne der Handlungsfiguren und der jeweiligen Situation parteilich oder einem eingeschränkten Gesichtskreis verhaftet kommentiert als aus einem übergeordneten Standpunkt mit der Autorität des Überblicks. So entsteht – um als Beispiel die sowieso am gründlichsten in dieser Hinsicht untersuchte Protagonistin Cécile zu nennen – eine Fassade aus Rollenzuschreibung und Rollenerfüllung, hinter der Eigenständigkeit, Autonomie und Agens verschattet bleiben. 10 Gleichzeitig allerdings bezeugt die ambivalente Etikettierung jedenfalls als Möglichkeit die Existenz von etwas Eigentlichem, Wesenhaften, Essentiellen jenseits von Benennung. Es lassen sich auf semantischer Ebene verschiedene verwandte Typen der dualen Etikettierung identifizieren: Oppositionspaare können unvermittelt nebeneinander stehen, etwa wenn es um den»Unterschied von ›hübsch‹ und ›häßlich‹« geht(181), um»des Guten zuwenig« respektive»zuviel«(150), um»Glück« und»Grusel«(172). Solche Paarbildungen werfen die Frage nach den Kriterien von Wertung und Definition auf, indem sie auf Inkompatibilitäten verweisen, die Möglichkeit eines Dazwischen als Kompromiss oder gar Ideal andeuten. Doppelte, alternative oder oppositionelle Zuschreibungen nehmen eine Platzzuweisung vor, definieren und bemessen diesen Platz allerdings lediglich ex negativo.
Heft
(2017) 104
Seite
34
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