Heft 
(2017) 104
Seite
36
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36 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Juan und den Inquisitor verbindet, bleibt unausgesprochen, nicht einmal angedeutet. Was verbindet weiterhin»Pedanten« und»Faun«(231) in einer Person, was ist die Substanz, der Wesenskern dieser Person, der sich in beiden Eigenschaften ausprägt? Wo liegt der locus communis zwischen sexuellem Exzess als Ausdruck einer innerweltlichen Handlungsermächti­gung und Unterwerfung unter ein Dogma wie die Autorität einer Institu ­tion wie der Inquisition, die sich auf externe Rechtfertigung beruft und daraus die Unangreifbarkeit ihrer Positionen ableitet? Dass die Infragestellung des Verhältnisses von zwei Bewertungspolen ein explizites Anliegen Fontanes ist, verraten Formulierungen, die eben dieses Verhältnis zum Thema machen, so wenn die Optionen von»Gegen­überstellung oder meinetwegen auch[...] Parallele« vorgeschlagen werden (274). Das Verfahren der beständigen Umkreisung eines Gegenstandes durch Bezeichnung seiner extremen Eigenschaften mag suggerieren, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, diese Mitte aber kaum zu definie­ren ist, weil sie sich eben durch die beiden Extreme überhaupt erst konsti­tuiert und sozusagen keinen Eigenwert hat. Der Frau, die»nicht glücklich und auch nicht unglücklich ist«(262), wird eben keine Zufriedenheit, kein Sichabfinden mit Gegebenheiten attestiert, sondern eine Unentschieden­heit, ein Schweben, eine Defizienz. Umkreisende Doppelbenennung ist ein Verfahren der negativen Definition, der Identifikation durch Abgrenzung davon, was nicht den Kern ausmacht, wie die doppelte Negation des letzten Beispieles belegt. Ein solches Verfahren kann sich zur Unverbindlichkeit auswachsen»wir können in die Kirche gehen und nicht in die Kirche ge­hen«(271). In genau dieser Unverbindlichkeit, der Absenz von Orientie­rung, steckt nicht nur die Tragik Céciles und Gordons, sondern auch die Problematik einer Gesellschaft ohne Zentrum. II Einmal wird wie gesagt an signifikanter Stelle das Prinzip der Doppelde­finition durchbrochen durch ausdrückliche Benennung dessen, was zwi­schen den sich gegenseitig aushebelnden, einander in Frage stellenden Polen liegen mag. Es wird mithin die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass sich zwischen den Gegensätzen und mit Demut und Hochmut auch hübsch und hässlich, zuwenig und zuviel, Kirchgang und Schlossbesuch etwas befindet, das nicht ausschließlich von den Rändern her, durch die umge­benden Extreme definiert ist, sondern aus eigenem Recht besteht und des­halb eine eigene Benennung trägt. Diese Passage befindet sich an der Schwelle vom ersten, im Harz spielenden Teil des Romans zum zweiten, dem Berliner Teil, und ebenfalls an der Schwelle von Gordons Nichtwissen um Céciles Vergangenheit und der brieflichen Aufklärung durch seine