»Die Welt ist eine Welt der Gegensätze« Krobb 41 und»Ventilationshasser«, bei dem es darum geht, wer von beiden»Extremen« sich größeren Hochmut ankreiden lassen muss. Gordons Argument gegen den Frischluftapostel besteht darin, dass den Fensteröffner das Vollgefühl der Rechtschaffenheit und moralischen Berechtigung zu unangemessener»Effronterie«, also provokanter Zurschaustellung der eigenen moralischen Überlegenheit als Herausforderung an Andersgesinnte verleite. Damit erhellt er am konkreten Beispiel bestimmte Mechanismen der Aushandlung gesellschaftlicher Hierarchien, denn die Sache an sich, bei der auf beiden Seiten gute Gründe bestünden, gerate aus den Augen und die Pose des moralisch Unangreifbaren erlange eine bedrückende, geradezu tyrannische Dominanz: »Der Ventilationsenthusiast brüstet sich nämlich beständig mit einem Gefühl unbedingter Superiorität, weil er, seiner Meinung nach, nicht bloß das Gesundheitliche, sondern auch das Sittliche vertritt. Das Sittliche, das Reine. Der, der sämtliche Fenster aufreißt, ist allemal frei, tapfer, heldisch, der, der sie schließt, allemal ein Schwächling, ein Feigling, un lâche. Und das weiß der unglückliche Fensterschließer auch, und weil er es weiß, geht er ängstlich und heimlich vor, so heimlich, daß er mit Vorliebe den Moment abwartet, wo sein Widerpart zu schlafen scheint. Aber dieser Widerpart schläft nicht, und mit jenem nie versagenden Mut, den eben nur die höhere Sittlichkeit gibt, springt er auf, läßt seine Zornader anschwellen und schleudert das Fenster wieder nieder[...]. Sie können zehn gegen eins wetten, der Antagonist von Zug und Wind ist immer voll Timidität, der Enthusiast aber (und das ist schlimmer) voll Effronterie.«(195 f.) Natürlich fungiert diese Auslassung als Vorausdeutung auf Gordons eigenes Verhalten gegenüber Cécile zu einem späteren Zeitpunkt, als die Konstellation in ein neues Stadium jetzt konkreter ›Sittlichkeits‹kriterien eingetreten ist – und zwar als parallele(Gordon als Luftzugsgegner, St. Arnaudals Lüfter) wie als kontrastive Folie, insofern Gordon als Wissender um Céciles moralische Verfehlung in die Rolle des ›sittlich‹ überlegenen Ausnützers der Schwächen anderer einrückt. Der Begriff des Mutes scheint hier wohl gegen die Intention des Predigers missbräuchlich verwendet, denn dem Unterlegenen, dem sittlicher Verfehlung Angeklagten steht diese Eigenschaft nicht zur Verfügung. So wird auch hier die Problematik von theoretischem Fallbeispiel und gesellschaftlicher Realität durchexerziert. Insbesondere stellt die zitierte Tirade die Dynamik von Machtverhältnissen in sozialen Konstellationen als relative Werte zur Debatte, deren Gültigkeit durch Durchsetzung etabliert wird, nicht durch intrinsischen Wert oder Sanktionierung durch eine Autorität. Die ›Unbedingtheit‹ ist mithin nur eine behauptete; Hochmut ist, um in der Terminologie zu bleiben, ein »Mut«, dem kulturelle Strömungen(wie hier die vermeintliche Hochschätzung des Abgehärteten, Gesundheitsbeflissenen) eine irrationale und dadurch gefährlich suggestive»Superiorität« verleiht(auch dies ein Begriff,
Heft
(2017) 104
Seite
41
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