Heft 
(2017) 104
Seite
42
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42 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte der immer wieder im Text zur Anwendung kommt, so 203, 223 und 310, dort auf signifikante Weise mit»Mut« enggeführt). So ergibt sich auch hier aus der Aufhebung des Kontrastes in der Gegenüberstellung oder Kontex­tualisierung, aus der Amalgamierung des Konträren, kein mittlerer Raum des Konsenses, der Verbindlichkeit oder doch wenigstens eines tragfähi­gen Kompromisses. Es gibt eben keinen mittleren Ort zwischen Katholizis­mus und Protestantismus, zwischen gesellschaftlicher Ächtung und ge­sellschaftlicher Integration, zwischen Demut und Hochmut. Die Mitte und ­damit der Mut als Resistenzinstrument gegen die Anfeindungen der Ex­treme und der unbarmherzig schwammigen»Welt« erscheint umstellt, ein­geschnürt, verunmöglicht durch die Übermacht und Ununterscheidbar­keit der Bedeutungs- und Bewertungsmöglichkeiten. Auch der Ausgang der Handlung, der im Lichte der Textur der Bipolari­tät nur konsequent erscheint, erteilt dem Ratschlag des Klerikers eine ent­schiedene Absage. Der Selbstmord Céciles besiegelt die Unmöglichkeit von Mut in ihrer konkreten Lage und darüber hinaus in menschlichen Belas­tungssituationen und damit auch einen positiv markierten Ort zwischen den Extremen, jenseits der Paradoxe und abseits der sich selbst aushebeln­den Widersprüche. Dennoch wird vorgeführt, was im Handlungsverlauf versagt bleibt, will heißen: In Céciles letztwilligem Vermächtnis wird dem, was der Begriff»Mut« zu markieren versucht hatte, nachträglich Stimme verliehen allerdings nur im Raum der Möglichkeit, als Vision einer inner­weltlichen Transzendenz. Jedoch inauguriert auch dieses Vermächtnis kei­ne Ausgestaltung des Zwischenraums, kein temperiertes Sicheinrichten in den Gegebenheiten, sondern ein posthumes Aufbäumen gegen den Zwang zur Verstellung, gegen die Nötigung zu einer Unterwerfung unter etwas Nebulöses, nicht Fassbares, eine»Welt« mit Macht(wie der Ventilationsbe­fürworter), aber ohne Substanz. Die demonstrative Annahme einer Ver­gangenheit, die der Grund dafür war, dass Cécile ein Platz in der Mitte der Gesellschaft, eine Existenz ›auf eigene Rechnung‹ vorenthalten blieb, bestä­tigt gleichzeitig den prekären Status des Dazwischen als existentiellen, un­überwindbaren, notwendigen. Dass der Hofprediger als Konversionspate und als Propagator des Dazwischen zum Testamentsvollstrecker eingesetzt ist, entbehrt nicht einer schneidenden Ironie. Céciles letzter Wille nämlich nimmt Stellung, ergreift Partei: Für den Katholizismus, wenn sie ihre»letzten Gebete«»aus einem katholischen Herzen« an»ein katholisches Kreuz« richtet; für ihre schlesischen Wurzeln und ihre Vergangenheit als Fürstengeliebte, wenn sie»auf dem dortigen Gemeindefriedhofe, zur Linken der fürstlichen Grabkapelle« beigesetzt zu werden wünscht(316 f.). Die Anweisung, sie»zur Linken« zu begraben, ist eine Anspielung auf die Praxis der Ehe zur linken Hand, der morganati­schen Ehe ohne Einfluss auf Erbrecht und andere ständische Privilegien, welche Fürsten mit unstandesgemäßen Geliebten eingingen, die aber an-