Heft 
(2017) 104
Seite
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»Die Welt ist eine Welt der Gegensätze« Krobb 43 sonsten als eine kirchen- und zivilrechtlich gültige ›offizielle‹ Verheiratung galt. Diese Geste macht es irrelevant, ob ihre fürstlichen Liebhaber dem Verhältnis einen auch nur annähernd offiziellen Anstrich gaben; sie selbst reklamiert diese Auszeichnung posthum für sich. Der Bestattungsort zwi­schen der fürstlichen Grablege, jedoch auf dem Gemeindefriedhof enthält ein Bekenntnis zu zwei Eigenschaften, die ihrer Mutter als Verfehlung an­gekreidet worden waren und die in Cécile weiterlebten, nämlich die Kom­bination von plebejischer Unbildung und unbürgerlichem Hang zu kurz­fristiger Bedürfnisbefriedigung(sie hat ihre Apanage jeweils in wenigen Tagen aufgebraucht) bei gleichzeitigem Adelsstolz und Verfeinerung der Sitten:»Sie[...] war abwechselnd unendlich hoch und unendlich niedrig. Sie sprach mit der Herzogin auf einem Gleichheitsfuß, am liebsten aber unterhielt sie sich mit einer alten Waschfrau, die in unserem Hause wohn­te«(283). In der Rückbesinnung auf diese Wurzeln drückt sich auch ein Impuls gegen die Abschottung von»Hütten, Kinder[n] und aufgehängte[r] Wäsche«(156) aus, die Gordon ihr verordnet hatte, also ein Impuls gegen die Berührungsangst gegenüber dem sozial und kulturell Anderen. Auch hier kollidieren Gegensätze und Abgrenzungen. Demut und Hochmut bedingen und bedeuten sich gegenseitig, da sich das eine durch das andere definiert. Und sie verschmelzen ineinander, denn in der Bescheidenheit, der willentlichen Selbstunterwerfung unter morali­sche oder soziale Normen, liegt in der säkularisierten Welt die Selbstgefäl­ligkeit der Instrumentalisierung ungenügender zwischenmenschlicher Ar­rangements, in der religiösen Sphäre die Arroganz der Selbstauszeichnung, der Auserwähltheitsgewissheit, der Gottesnähe, der Nötigung Gottes zum Wohlverhalten gegenüber dem Beflissenen. In dieser Konstellation ist kein Platz für ein Dazwischen. Die tragische Unerbittlichkeit, welche den Hand­lungsverlauf treibt und die semantische Ordnung des Textes durchzieht, verweist»Mut« in den Bereich des Unmöglichen selbst wenn irgendje­mand(der sprechende Hofprediger eingeschlossen) überhaupt zu sagen vermöchte, was Mut bedeuten könnte.