Heft 
(2017) 104
Seite
49
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Die Tonalität gesetzter Zeichen  Nienhaus 49 I. Man sieht vor lauter Text die Zeichen nicht Der edierte Text kann im Vergleich mit dem ihm zugrundeliegenden Hand­schriftenkonvolut als ein Ort verlorener, neuer und erhaltener Zeichenset­zung beschrieben werden. In den theoretischen Schriften und den Debat­ten über die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der poetischen Zeichensetzung literarischer und philosophischer Texte wird mehrfach auf die Diskrepanz zwischen auktorialer Zeichensetzung und der des edierten Textes verwiesen. 23 Die Edition kann für den Text mitunter sinnverstellende bis entstellende Konsequenzen haben. 24 Der Editionsphilologe Thorsten Ries stellt fest, dass es»[d]ie Aufgabe der Edi­tion ist, den textlichen Befund darzustellen, zu dokumentieren, zu erschlie­ßen und soweit möglich nachprüfbar zu machen«. 25 Laut Klaus Kanzog ist die Interpunktion gegenüber der Orthographie weit mehr»vom indivi­duellen Ausdruckswillen des Autors[] bestimmt«. 26 Fatal sei in diesem Zusammenhang, dass in der Geschichte der Editionsphilologie häufig sti­listische Zeichensetzung verkannt und als fehlerhaft angesehen worden sei. Im Dienste einer Lesehilfe brachte dies häufig einen verfälschten Text hervor. 27 Eine Stiluntersuchung der Interpunktion hat in einem solchen Fall einen geringen Erkenntniswert und skizziert womöglich ein Stilprofil, das kaum mit dem quellengesicherten Ausgangstext übereinstimmt. 28 Pro­blematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass Mecklenburg aus der Betrachtung des edierten Textes Rückschlüsse auf Fontanes Stil zieht und im Gebrauch der Anführungszeichen»das Wie, den Stil, den Ton« sei­ner Erzähltechnik erkennt. 29 Hat man die Möglichkeit, die auktoriale Handschrift heranzuziehen, ist Kanzog zufolge die»Interpunktionskorrektur« nach der ersten Nieder­schrift zu bedenken. 30 Paul Irving Anderson gibt in seiner Untersuchung zu Fontanes Schreibverfahren einen detaillierten Bericht zur Quellenlage des Stechlin. Für Fontanes Romane sei pro Roman von ein bis zwei»Ar­beitshandschriften« auszugehen. 31 Für den Vorabdruck habe seine Ehefrau Emilie Fontane jeweils eine Reinschrift angefertigt, die von Fontane persönlich noch einmal durchgesehen worden sei. Diese Reinschrift sei dringend notwendig gewesen,»[d]enn es gibt wenige saubere, leicht lesba­re Seiten[]. Überall hängen Zettel, womit Verbesserungen mit dem Kleis­terpinsel hinzugefügt, oder wo treffende Stellen aus anderen Blättern her­ausgeschnitten und eben umdisponiert wurden«. 32 Klaus-Peter Möller beschreibt, dass Fontane in seinen ersten Entwürfen keine»Rücksicht auf Interpunktion und grammatische Kongruenz« nimmt. 33 Die Entwürfe habe Fontane aber anschließend»gründlich überarbeitet«. 34 Die erste Buchausgabe aus dem Jahr 1898 habe das»durchkorrigierte[] Exemplar des Zeitschriftenabdrucks« als Satzvorlage verwendet, und die Interpunk­tion sei an einigen Stellen noch einmal geändert worden. 35 Diese hat Fontane­