50 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte selbst nicht mehr erlebt. Allerdings habe er bis zuletzt die Buchausgabe redaktionell betreut. Deshalb seien stilistische Veränderungen gegenüber dem Erstabdruck auf Fontane zurückzuführen, noch im August 1898 habe er eine Überarbeitung der Druckfahnen vorgenommen. 36 Grundlagentext für die vorliegende Untersuchung des Stechlin ist die Große Brandenburger Ausgabe von Möller und Christine Hehle, die sich bei ihrer Edition »buchstaben- und zeichengetreu[…]« an der ersten Buchausgabe – als dem »zuverlässigsten Text« – orientieren. Alle Eingriffe in den Text werden in dieser Ausgabe nachgewiesen. 37 Ergänzend dient der Textanalyse die kritische Ausgabe des Stechlin von Staengle und Reuß, deren Ausgabe den Erzähltext ebenfalls»buchstaben- und zeichengetreu nach den vom Dichter autorisierten Drucken« wiedergibt. 38 II. Ein Blick in die Handschriften und zur Seite Im Jahr 1902 wurde ein Großteil des Nachlasses von Fontane an die heutige Stiftung Stadtmuseum Berlin übergeben. Erhalten sind seit dem Zweiten Weltkrieg allein die Kapitel 21 bis 45 des Stechlin, die restlichen Kapitel gelten bis heute als verschollen. Die textgenetische Forschung zum Stechlin ist deshalb mitunter auf die Bestandsaufnahme und Darlegung Julius Petersens angewiesen, dessen Ergebnisse in dem 1928 erschienenen Aufsatz Fontanes Altersroman versammelt sind. 39 Die Autographen Fontanes belegen, dass sich der Entstehungsprozess seiner Romane durch eine akribische Arbeit am Text auszeichnet, begleitet von zahlreichen Relektüren und Korrekturen. In seiner textgenetischen Untersuchung des Stechlin kommt Peter Goldammer zur Feststellung, dass sich Fontanes schriftstellerische Tätigkeit als ein»langer und mühevoller künstlerischer Schaffensprozeß der Formulierung und Stilisierung« präsentiert. 40 Gabriele Radecke beobachtet die Tendenz in der Forschung zu Fontanes Schreibverfahren, den Schriftsteller entweder als einen Vertreter »verselbständigende[r] Schaffensprozesse[…]« oder»rational überlegende[r] und organisierende[r] Schreibvorgänge[…]« darzustellen. 41 Dabei hebt sie hervor, dass, sobald man Fontanes Äußerungen bezüglich seiner Schreibverfahren mit dem überlieferten Textmaterial zu seinen Romanen vergleicht, dieses sich als ein komplexer, durchdachter und zielorientierter Entstehungsprozess erweist. In ihrer textgenetischen Studie zu L ´ Adultera kommt sie zum Ergebnis, dass sich Fontanes Arbeitsweise durch»ein bewußtes Planen, ein sorgfältiges Organisieren und ein exaktes Konzipieren« auszeichnet. 42 Hierauf verweist auch Goldammer, der nach der Auswertung des Manuskriptkonvoluts des Stechlin feststellt, dass»Fontane […] bereits im Manuskript stark in Richtung auf den endgültigen Text korrigiert«. 43 Die Möglichkeit eines Blicks in die erhaltenen Teile des
Heft
(2017) 104
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50
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