Heft 
(2017) 104
Seite
52
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52 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte prin­zipien der Interpunktion«, das die Ausbildung eines individuellen Stils begünstigt. 52 In diesem Zusammenhang kann auch auf Jürgen Stenzels Un­tersuchung zur poetischen Zeichensetzung verwiesen werden. Dort be­zeichnet er die Interpunktion als»Ausdrucksmedium« eines»Stilwillens«. 53 Trotz ihres poetischen Aussagegehalts verschwinden, Nebrig und Spoerhase folgend, häufig die Satzzeichen bei Textanalysen im Schatten der Wörter. 54 Festzustellen sei in der Literaturwissenschaft nahezu eine»Satz­zeichen-Vergessenheit«. 55 Eine literaturwissenschaftliche und philosophi­sche Betrachtung der Zeichensetzung im Hinblick auf einen poetischen Mehrwert stellt auch für Christine Abbt und Tim Kammasch, besonders für philosophische Texte, ein Desiderat dar. 56 Während ihr Sammelband Punkt, Punkt, Komma, Strich jedem Satzzeichen einen Forschungsaufsatz widmet, wird die Beschäftigung mit der Klammer als Leerstelle bildlich umgesetzt. Zwar wird ihr ein Kapitel zugewiesen, allerdings besteht dieses allein aus dem Abdruck der typographischen Klammer. 57 Im Forschungs­bereich der poetischen und philosophischen Interpunktion kommt der Klammer im Vergleich zu den anderen Satzzeichen lediglich eine stiefmüt­terliche Behandlung zu. Obwohl wiederholt auf den Erkenntniswert und die Relevanz einer genauen Betrachtung der Zeichensetzung verwiesen wird, führt die Klammer ein Schattendasein. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass Satzzeichen weit mehr Funktio­nen erfüllen als nur grammatische. 58 Nebrig und Spoerhase nennen für die Satzzeichen unter historischer Perspektivierung neben der»syntaktisch­grammatischen Ordnungsfunktion« fünf weitere entscheidende Funktio­nen: die»rhetorisch-dialektische«, die»phonetisch-prosodische«, die »pneumatisch-physiologische«, die»semantische« und die»kognitive Funk­tion«. 59 Für die Textanalyse sind hier besonders die phonetisch-prosodische und die semantische Funktion relevant. So erinnert auch Susanne Wehde an die unterstützende Funktion der Satzzeichen für die»lautsprachliche Lektüre«. 60 Abbt und Kammasch zufolge ist an den Satzzeichen sogar eine für den Text spezifische»Gestik ablesbar«. 61 Ähnliches formulieren Nebrig und Spoerhase, wenn sie in Bezug auf die Interpunk­tion von einer»indivi­duellen stilistisch-syntaktischen Stilphysiognomie« sprechen, die bereits Theodor W. Adorno betont. 62 Ein weiterer Aspekt findet wiederholt Erwähnung und zwar, dass die Interpunktion primär der stillen Lektüre diene. 63 Gemäß Hans-Georg ­Gadamer stellt die Zeichensetzung gegenüber dem Sinn lediglich ein se­kundäres»Hilfsmittel« dar. 64 Allerdings beweist die konsequente Berück­sichtigung der bedeutungstragenden Funktion der Interpunktion für die Satzmelodie, dass diese nicht unberücksichtigt bleiben darf, auch wenn die Erfassung einer Tonalität im geschriebenen und gedruckten Text mit me­thodischen Hindernissen zu kämpfen hat, angesichts der Aufgabe satzme­lodische Hinweise intersubjektiv vorzustellen. Erinnert sei hier an dornos