»Was heißt quitt ?« Selbmann 71 mit der Begegnungsfrage nur gespielt hatte«(337), so hält er doch an seiner Konfliktaufstellung als Duell fest. Er lässt dem Konkurrenten den ersten Schuss, der allerdings versagt(337). Seinen eigenen Doppelschuss deklariert er zu einem»Akt der Notwehr«(341). Im eigenen Selbstverständnis ist Lehnert trotz seiner Gewissensbisse»schuldlos«, er macht selbst»Meldung« über den Schwerverletzten(348) und initiiert die Suche nach ihm. Ein»Verdacht« gegen ihn(345) lässt sich schnell»herauslesen«, obwohl es keinen Beweis gibt; das sehen auch die Ortsbewohner so(354:»Ob sie´s ihm beweisen können, das ist die Frage.«). Selbst die Aufzeichnungen des sterbenden Opfers entlasten ihn:»so wisse man, daß ich von einem Wilddiebe geschossen bin[...] wahrscheinlich ein Böhm´scher«(356). Was noch schwerer wiegt, ist die ausdrückliche Abweisung eines Mordvorwurfs durch den Autor selbst. Nach der Besichtigung des Denkmals für einen von einem Wilderer ermordeten Förster, das den Rohstoff für den Roman handgreiflich ins Bild gesetzt hatte, schrieb Fontane an seine Tochter am 17. Juni 1885 aus dem schlesischen Krummhübel: »Auf dem Denkmal steht ›ermordet durch einen Wilddieb‹. Ich finde dies zu stark. Förster und Wilddieb leben in einem Kampf und stehen sich bewaffnet, Mann gegen Mann, gegenüber; der ganze Unterschied ist, daß der eine auf dem Boden d. Gesetzes steht, der andre nicht, aber dafür wird der eine bestraft, der andere belohnt, von ›Mord‹ kann in einem ebenbürtigen Kampf keine Rede sein.« 10 Die Briefstelle muss freilich mit Vorsicht gelesen werden, da Fontane in seinen Kommentaren bekanntlich immer zugespitzter als in seinen Romanen formuliert. Eine ähnliche Einstellung legt Fontane auch seinem um Ausgleich bemühten Pastor Siebenhaar in den Mund. Hier ist dessen unterschwellige Parteinahme dann allerdings in die Perspektive eingetragen: »Das wird euch so gleich mit in die Wiege gelegt, und so nehmt ihr´s als euer gutes Recht, und wenn ihr einen Grenzer oder Förster über den Haufen schießt, dann ist es nicht Mord, dann ist es Notwehr.«(268 f.) Quitt verhandelt also keinen lupenreinen Mordfall wie in Unterm Birnbaum, sondern unterschiedliche Rechtsverständnisse einer solchen Tat. Auch der Täter entzieht sich nicht der Untersuchung, sondern legt»ein seltsames Verlangen« an den Tag,»Zeuge zu sein, wie´s nun wohl kommen werde«(343), im sicheren Bewusstsein,»daß ich schuldlos sei«(348). Doch das untersuchungsrechtliche Verfahren verläuft gegen eine solche Selbsteinschätzung. Der Roman schildet es ausführlich als Farce, die nur scheinbar nach rechtsstaatlichen Prinzipien abläuft. Aus dem vermuteten»Verdacht« (354) wird, trotz der entlastenden Aufzeichnungen des Opfers, schnell ein Vor-Urteil, das sich als eindeutiger»Beweis« ausgibt:»Und ich wiederhole, der, der diesen Mord auf seine Seele geladen hat, ist kein anderer wie Lehnert Menz.«(358) Trotz»allerlei Zweifel« und Einwänden zugunsten
Heft
(2017) 104
Seite
71
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