»Was heißt quitt ?« Selbmann 77 Rechtsordnung, an die es zwar anzuknüpfen gilt(391:»um dieser Tugenden und vor allem auch um der Nüchternheit willen sind mir die Preußen am liebsten«), freilich nicht mit Bezug auf die Gegenwart, sondern im Rückgriff auf die Zeit des aufgeklärten Absolutismus, als die preußischen Fürsten»die ersten Diener« ihres Staats gewesen seien(391). Mit dieser Vorprägung sieht er die amerikanische republikanische und demokratische Gegenwart durchaus kritisch:»Denn die Freiheit, deren wir uns hier rühmen und freuen, ist ein zweischneidig Schwert, und die Despotie der Massen und das ewige Schwanken in dem, was gilt, erfüllen uns, sosehr ich die Freiheit liebe, mit einer Unruhe, die man da nicht kennt, wo stabile Gewalten zu Hause sind.«(391) Auch wenn Obadja hier die Genauigkeit seiner Anspielung auf das »Schwert«(430 und 507:»Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen«) nicht wissen kann, so verknüpft er doch Lehnerts Verschuldung in der Heimat mit den neuen Lebensverhältnissen. Dieses neue Leben, nämlich»kein Regieren, und einfach ein Geist der Ordnung und Liebe«, lässt die Utopie eines amerikanischen melting pot, noch bevor der Begriff gängig wurde, als»bunte Menschenmasse«,»nicht einmal durch das Band gemeinsamer kirchlicher Anschauungen zusammengehalten« (399), in der Verdichtung auf»Hausgenossenschaft« und»Familie[…] nach Art eines großen Vogelbauers« als»happy family«(400) entstehen. Fontane hat diese Konstruktion ausdrücklich als eine»Finesse« bezeichnet, auf die es besonders ankäme, nämlich»Feindliches, diametral Entgegengesetztes friedlich« zusammenzuführen und dem»preußischen Sechs-Dreier-Hochmut« entgegenzustellen. 23 Auch L´Hermite, der Franzose»mit dem zölibatären Namen«, 24 hat wie alle aus Europa Gekommenen nur angeblich»das Alte drüben gelassen«; »aber eigentlich halten sie fest am alten«; diese»alt mitgebrachten Ideen« nähren jedoch seine Einbildung,»der Neueste der Neuen« zu sein(394). L´Hermite ist nicht nur eine dritte Kontrastfigur zu Lehnert, 25 weil er wie dieser ebenfalls am Deutsch-Französischen Krieg beteiligt war, an den 70er Krieg die Ausrichtung seiner Lebenslinie bindet und ebenfalls(mehr als) einen Toten zu verantworten hat:»daraufhin wurden die Geiseln erschossen... Und der letzte war der Erzbischof... Ich übernahm selbst das Kommando«(409). Der Erzähler betont diese Parallelisierung ausdrücklich:»die beiden sonderbaren Schwärmer, von denen der eine den Erzbischof von Paris und der andere den Förster Opitz auf dem Gewissen hatte« (434). In Obadjas Haus lebt Lehnert»dem Zimmer gegenüber, das von Monsieur L´Hermite bewohnt wurde«(395), entwickelt freundschaftliche Gefühle zum ehemaligen Feind(406:»mon cher ennemi«), der als eine Art verkehrter Kaulbars vorgibt,»die nationalen Vorurteile hinter sich zu haben«, und als ehemaliges(führendes) Mitglied der Pariser Kommune als »Fanatiker« an seiner»Menschheitsbeglückungsidee« festhält(396).
Heft
(2017) 104
Seite
77
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