»Was heißt quitt ?« Selbmann 79 Le Sentimental«(414). Im erhaltenen Entwurf hatte Fontane übrigens noch schärfer formuliert:»[gestr. Revolutionair] Assassin sentimentale«. 28 Dazu passt genau die gemeinsame Namensauslautung mit seinem Opfer»Opitz«, ein»Name voll Unbefangenheit«, der höchstens weitläufig regional angehaucht wirken soll(470:»denn die Sachsen und die Lausitzer sind schon wie halbe Schlesier«). Mit Opitz hat Lehnert Menz mehr gemeinsam, als er wahrhaben will:»daß es beide harte Steine sind«(277);»er hat so was wie Opitz selber«(279), wissen die Dorfbewohner. Beim seltenen Vornamen »Lehnert«, der nicht»historisch oder lokal fundiert« ist, war für Fontane sein»guter Klang« entscheidend. 29 Der Vorname wird in Amerika wie ein Nachname verwendet(421:»Mister Lehnert«) und enthält einen etymologisch eindeutigen Rekurs auf das ständische Lehenswesen, das zwar im konstitutionellen Staat Preußen rechtlich abgeschafft ist, unter der Oberfläche als tradiertes Herrschaftsverhältnis aber weiter wirkt und den Kern des Konflikts zwischen dem im Grafendienst tätigen Förster Opitz und dem Staatsbürger Lehnert Menz bildet, der auf sein»Recht« auf Waldnutzung, sei es»Holz« oder Wilderei, pocht(280). Auch die»Auflehnung gegen Ordnung und Gesetz«(383) trägt Lehnert schon in seinem Namen mit sich. In Amerika kommen andere Analogien zu Lehnerts Vornamen an die Oberfläche. Im Empfehlungsbrief an Obadja wird er als»Lionheart« eingeführt (373), während man bei der Auswahl einer gemeinsamen Romanlektüre sich auf Pestalozzis»Gertrud und Lienhardt« auch deshalb einigt(439), weil der»Kalendername« zur Identifikation geradezu einlädt(389:»Und wenn du so bist wie Lienhardt«). Pestalozzis Erfolgsroman von 1781 ff. heißt in Wahrheit allerdings Lienhard und Gertrud und folgt in der Fehllesung der Spur, die Fontane bei seiner Arbeit am Roman in seiner brieflichen Anforderung ausgelegt hatte, als er bat,»die 3 oder 5 Bändchen »Gertrud und Linart«(oder Linhardt) zupacken zu wollen; das betr. Kapitel ist schon geschrieben, aber das Richtige für das vorläufig bloß Angenommene muß noch hinein.« 30 Pestalozzis Roman und seine männliche Titelfigur bietet für Lehnert die ideale Projektionsfläche, beginnend mit der»Vorrede«(440:»Das sind schlechte Leser, die von Vorreden nichts wissen wollen«), die bald zum» Leitmotiv für das Ganze« erhoben wird (441). Während Obadja über dem Schweizer Roman im Gegensatz zu»allen deutschen und namentlich über allen preußischen Büchern« den Geist der Freiheit,»die Gleichheit der Menschen« und die»Republik« wehen sieht(441), findet Lehnert darin»seine eigene Lebensgeschichte«: »Lienhardt, das war er selbst, und der böse Vogt, der den armen Lienhardtgequält und zum Schlechten verführt, das war Opitz.«(442) Noch deutlicher zeigt sich Lehnerts bedingungslose Gleichsetzung in den angestrichenen Stellen, sogar mit»Nebenstrichelchen«, bei seiner heimlichen Einzellektüre des Romans(445).
Heft
(2017) 104
Seite
79
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