80 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 4. Zeitgeschichte Im Vergleich mit anderen Gesellschaftsromanen Fontanes zeichnet sich Quitt durch eine besonders intensive Verwebung mit der Zeitgeschichte aus. Der Roman spielt in dichter Nähe zu seiner Entstehung ab Juni 1885 (268:»Ich lebe nun hier seit Anno 29, und noch zwei Jahre, dann hab ich mein Jubiläum«). Diese Jahre nach dem Deutsch-Französischen Krieg»in der Nähe des deutschen Kronprinzen«,»den Einzug in Paris unter Bismarcks Augen«(375) und die Reichsgründung finden ihren Niederschlag in den prägenden gemeinsamen Kriegserlebnissen von Lehnert und Opitz. Während der Förster im Krieg als»Oberjäger« den preußischen Kadavergehorsam von seinen Untergebenen verlangt, erweist er sich gleichzeitig als»Neidhammel«(270) gegenüber dem tatsächlichen Lebensretter Lehnert. Als»Quäler« und»Schufter« schikaniert er nicht nur seinen Untergebenen Lehnert, weil dieser»ihm zu forsch und zu freiweg und zu wenig untertänig« war(278); gegen die Verleihung eines durch Tapferkeit wohlverdienten Eisernen Kreuzes an Lehnert(278:»Opitz hat ihm das Kreuz gestohlen«) intrigiert er in typisch preußischem Verhalten einer Beamtenexistenz(278:»nach oben hin kriecht er, und nach unten hin tritt er«). Er schafft es auch, dass er selbst den Orden erhält, um ihn dann im späteren Zivilleben demonstrativ und einschüchternd zur Schau zu stellen. 31 Diese aus der Kriegszeit stammende Konkurrenzsituation zwischen Lehnert und Opitz überlagert und verschärft die persönliche Feindschaft mit einem politisch-sozialen Konflikt. Dessen Wurzeln reichen freilich tiefer; der Roman lässt nur wenig davon, dies allerdings vielsagend, erkennbar werden. Bei der Beschreibung von Lehnerts Anwesen verweist der Erzähler darauf, dass hier»gesamtes Acker- und Heideland in alten Zeiten ausschließlich Stellmacher Menzsches Eigentum gewesen war«(290 f.). Die dann – mit vager Zeitangabe(291:»Das war jetzt runde dreißig Jahr«) – errichtete Försterei ist offenbar als Folge einer Enteignung entstanden; auch hier deutet der Text mehr an, als er erklärt. 32 Die Kontrastwirkung zwischen der neu gebauten Försterei»mit ihrer Sauberkeit und ihrem roten Dach« und der baufälligen Stellmacherei wird jedoch dadurch in ihrer Wirkung auf den Kopf gestellt, als die Stellmacherei die»fette Seite« des Grundstücks einnimmt und dort»kastellartig auf alles unmittelbar Umhergelegene herabsah«(291). Lehnerts»malerische Kastellinsel« wirkt deshalb doppelt provokant auf Opitz,»ohne daß er es zugab, die Hochlage der Stellmacherei dort drüben einfach als einen Tort empfunden hatte«(291). In sozialgeschichtlicher Übersetzung: Schon durch die Gebäude- und Grundstückssituation überschichten sich in der schlesisch-preußischen Provinz zwei unterschiedliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse. An der Oberfläche besteht im Neuen Kaiserreich auf dem Papier Rechtsgleichheit aller Staatsbürger, freilich ohne Bürgerrechtsgarantien, auch wenn
Heft
(2017) 104
Seite
80
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