Heft 
(2017) 104
Seite
120
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120 Fontane Blätter 104 Rezensionen und Annotationen »Goethe«, notiert einmal Fontane an seine Frau,»Goethe hat einmal gesagt: ›die Produktion eines anständigen Dichters entspricht allemal dem Maaß seiner Erkenntniß‹. Furchtbar richtig«. 8 Als schreibende Frau im 19. Jahrhundert aus hocharistokratischen Kreisen bot Ebners aus der Groß­familie schmerzlich gewonnene Erkenntnis eine harte Schule fürs Leben und reichlich Stoff für ihre künftige Dichtkunst. An der Figur des viermal verheirateten Vaters wurde das fantasiereiche, willensstarke Kind sehr früh mit der Realität von Machtverhältnissen in der Familie konfrontiert. »Ich will mir einen Papa einbilden, den ich nicht fürchte«, schrieb die späte­re Meisterin in der Darstellung leiderfüllter innerfamiliärer Be­ziehungen. Strigl zeigt eine sichere Hand in ihrer Behandlung von Maries­belastetem Verhältnis zu den»Machthabern« ihrer Kindheit und Jugendjahre und ver­folgt dessen Niederschlag im Werk. Denn, so Strigl entgegen tradierten Vorstellungen,»Kindsein im Biedermeier, ob in feudalen oder in plebeji­schen Häusern, bedeutete Leibeigenschaft«(33). Der abgediente und unbe­mittelte Leipziger Veteran und Haustyrann Major Franz Dubsky verstand es, nicht nur sympathische und gebildete, sondern auch reiche Frauen zu gewinnen, doch nicht zu behalten; innerhalb von sieben Jahren wurde er dreimal Witwer und zeigte wenig Mitgefühl mit seinen verwaisten kleinen Töchtern. Glücklicher wurde Marie mit ihren drei Müttern trotz Verlust ih­rer eigenen bei der Geburt und der daraus entstehenden Schuldgefühle. Die erste Stiefmutter Eugenie liebte und behandelte Marie wie die eigenen ­Kinder; der zweiten, ihr weniger sympathischen Xaverine verdankte sie mehr als sie später vielleicht zugeben wollte. Die auf ihre hohe soziale Stel­lung stets bedachte geborene Gräfin Kolowrat förderte die emotionelle und intellektuelle Entwicklung der Stieftochter in vielfacher Weise: Die furcht­erregende französische Gou­ver­nante wird durch Maries lebenslänglich geliebte deutschböhmische Erzieherin und Korrespondentin Marie Kittl ersetzt, die im Gefühlsleben des Kindes eine Schlüsselrolle spielte. Und im »vielleicht denkwürdigsten Ereignis meiner Kinderjahre«(hier 59) erhielt sie von Xaverine­zum elften Geburtstag eine Schillerausgabe. Sogar ­Grillparzer wurden Gedichte ihrer Stieftochter vorgelegt und um seine Meinung gebeten. Doch, wie Strigl im Detail nachweist, stießen Ebners dichterische und namentlich dramatische Versuche über das nächste Vier­teljahrhundert immer wieder auf entrüstete Ablehnung durch ihre Lieben, inkl. ihren ›Lehrer‹, Mentor und Hausgenossen Moriz, Sohn ihrer Tante He­lene, mit dem sie im Sommer 1847 knapp siebzehnjährig verlobt wurde und ihn 1848 heiratete. Nicht nur der Altersunterschied von fünfzehn Jahren, vielmehr die Erwartungen ihres Mannes, dass»Tante Helene«, die den ein­zigen Sohn»vergöttert«, den Haushalt nach wie vor teilen sollte und, als diese wenig später einer schweren Gemütskrankheit erlag, seine knapp zwanzigjährige Frau wie selbstverständlich deren Pflege übernehmen müsse, belasteten die junge Ehe und mit der Zeit auch Maries Gesundheit.