Daniela Strigl:»Berühmt sein ist nichts« Sagarra 121 In ihren Überlegungen zu Ebners eigener Krankheitsgeschichte legt Strigl vielleicht zu wenig Gewicht auf die dreizehnjährige häusliche Sklaverei, als die nun vom Verfolgungswahn heimgesuchte Schwiegermutter die junge Frau tagaus tagein oft kaum aus ihrem Zimmer ließ. Der Briefwechsel mit Knorr wurde in diesen Jahren zum Rettungsanker. Auch an Schwester Fritzi klagte die sonst stoische Marie:»meine Sünden büße ich doch alle ab« (91). Dass die Ehe kinderlos blieb, bestätigte die Erwartungen ihrer Familie auch nach dem Tod Helenes, dass»Tante Marie« zu allen Krankheits- und anderen Diensten an der Familie herhalten müsse. Zeit für sich und ihre Kunst zu beanspruchen, sei einfach Egoismus. Die»moralische[n] Nadelstiche« ihrer Lieben seien ihr»die empfindlichste und entmuthigendste die es giebt«(28. Juli 1880 an Knorr, hier 267 f.) Nach abermaligem Durchfall eines ihrer zahlreichen Versuche, das Theater und namentlich die Wiener ›Burg‹ zu erobern, hatte sich Moriz zu der in der Forschung immer wieder zitierten Drohung verstiegen:»Du trägst meinen Namen, ich will ihn nicht in solcher Weise verunglimpfen sehen«. Doch bietet Strigl ein viel abgewogeneres Bild als ihre Vorgängerinnen dieser gewiss nicht leichten Ehe und des »ebenso scharf- wie eigensinnigen, ja rechthaberischen Mannes, eines überaus selbstbewusst und kontrolliert auftretenden Vernunftmenschen, der allerdings begabt war mit Humor, Witz und Selbstironie«(89). Und als er ihr historisches Drama Marie Roland in einer Nacht durchlas, spendete Moriz seiner Frau sein»inniges, kräftiges Lob« und schrieb aus Paris einen langen(hier ausführlich zitierten) Brief mit den Worten:»Du hast einen rauhen Pfad durcheilt, und leider nicht helfend – und eher hemmend stand ich dir zur Seite«(156 f.).»Diese Reverenz«, kommentiert Strigl ironisch,»konterkariert immerhin das Bild des selbstsüchtigen Banausen, als welcher der Ehemann mitunter in der Ebner-Literatur erscheint. Auch wenn er diese Einsicht bald vergessen haben mag.«(157). Der geniale Techniker, Erfinder und spätere Feldmarschall eröffnete ihr eine neue Welt und durch seine Karriere Kontakte mit modern denkenden Menschen. Angeregt von ihm unternahm sie mathematische und philosophische Studien; zusammen lasen sie wie Theodor und Emilie Fontane Schopenhauer. Beide teilten ein waches Interesse an den politischen Entwicklungen ihres Landes und wurden 1891 Gründungsmitglieder des von Berta von Suttner gegründeten Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Ebners unverwüstliches Sendungsbewusstsein musste fast bis zuletzt mit dem zermürbenden Effekt der Negativität oder gar Ablehnung in der Großfamilie rechnen, wie ihre Biographin in ihrer feinen Bilanz zwischen Lebensbericht, geistiger Entwicklung, Werkinterpretation und Rezeption im Detail nachzuzeichnen versteht. Lebenswichtig wurde Ebner darum ihr weiblicher Freundeskreis, an dem sie sich nach wiederholten Demütigungen durch Kritik und Familie, trotz akuter Gesichts-, Kopf- und Kreuzschmerzen immer wieder aufrichtete. Der Knorrbriefwechsel stellte für die
Heft
(2017) 104
Seite
121
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