Heft 
(2017) 104
Seite
159
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Hermann Hesse und Theodor Fontane  Iven 159 dichterische Hauptwerk Fontanes ist hier in reichlicher, genügender, guter Auswahl geboten, es fehlen von ganz Wichtigem nur die ›Wanderungen‹, wohl aus verlagsrechtlichen Gründen 29 . Sonst sind alle Meisterwerke des köstlichen Erzählers und meisterlichen Kleinmalers da, Effi Briest und Frau Treibel, der Stechlin und Stine und wie sie alle heißen, sowie eine Auswahl der Gedichte. Was wir an jenem Nathusius 30 als deutsche Tugen­den erkannten, finden wir hier bei Fontane, dem so ganz anders Gearteten, dennoch alles wieder. Vor allem den Wirklichkeitssinn, die Achtung vor dem Gegebenen, das verstehende Gutheißen geschichtlicher Entwicklun­gen auch wo sie im Augenblick als Störungen erscheinen. Von den nord­deutschen Erzählern der Bismarckzeit hat außer Raabe keiner so viel Zu­kunft, so viel Anwartschaft auf lange Dauer wie Fontane.« 31 Als diese Zeilen veröffentlicht wurden, tobte in Europa der Erste Welt­krieg. Hesse, der sich freiwillig gemeldet hatte, wurde als dienstuntauglich zurückgestellt und 1915 der Deutschen Gesandtschaft in Bern zugeteilt. Dort arbeitete er in der Gefangenenfürsorge und baute gemeinsam mit dem Zoologen Richard Woltereck(1877–1944) die Bücherzentrale für deut­sche Kriegsgefangene auf. Deren Ziel war es, die Kriegsgefangenen in den Lagern mit von den Verlagen kostenlos zur Verfügung gestellten oder durch Spenden finanzierten Büchern und Zeitschriften zu versorgen. Was, wie aus einem kleinen, am 20. März 1918 in der Frankfurter Zeitung ­erschienenen Text Hesses zu erfahren war, im Verlaufe des Krieges immer schwieriger wurde: »An Büchern, die man gern kaufen würde, aber nicht kaufen kann, fehlt es ja zur Zeit nicht. Eine große Reihe der wertvollsten Bücher unserer Lite­ratur ist zur Zeit bei den Verlegern nicht mehr zu haben, und man wäre damit am Ende wie mit anderen Opfern gerne einverstanden, wenn das Papier, das für Gottfried Keller, Fontane und viele andere Dichter fehlt, nicht für geringe Tageserzeugnisse doch noch da wäre. Mit diesem Bü­chermangel nun hängt meine geheimnisvolle Bibliothek zusammen. Sie erscheint seit kurzem in Bern im Verlag unserer Bücherzentrale für deut­sche Kriegsgefangene«. 32 Zwar erschien in dieser»geheimnisvollen Bibliothek« ein Band mit Gottfried Kellers Novelle Don Correa, doch einen Text von Fontane sucht man in den insgesamt 22 von Hesse zusammengestellten und redigierten Titeln vergebens. Im Übrigen findet sich auch in den von Hesse bereits vor dem Ersten Weltkrieg herausgegebenen Lyriksammlungen Der ­Lindenbaum(1910), Der Zauberbrunnen(1913) sowie Lieder deutscher Dich­ter(1914) kein einziges Gedicht von Fontane. 33 Im März 1918 veröffentlichte Die Neue Rundschau eine im Dezember des Vorjahres von Kasimir Edschmid(1890–1966) gehaltene Rede, überschrie­ben Expressionismus in der Dichtung. 34 Hesse reagierte im Juni 1918 auf