172 Fontane Blätter 104 Vermischtes im Kontext des eigenen Alters wie auch der sich ständig ändernden Verhältnisse des literarischen Markts« zu arbeiten. Die nächsten sechs hier beschriebenen Fontane-Beiträge wurden der Reihe nach in den zwei sessions gehalten, die die Professoren Lyon und Tucker organisiert haben. Die Beiträge der ersten Dreierrunde fielen eher unter Rhetorik und Politik, die der zweiten Runde mehr unter Ästhetik und Politik. Mein eigener Beitrag behandelte Fontanes Erzählerische Lösungen für Homoerotik in gehobenen Kreisen 3 anhand der Romane Graf Petöfy und Unwiederbringlich sowie des fünften Wanderungsbandes Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg. Darin zeige ich auf, wie Fontane ambivalente Liebesbeziehungen verwendet, um ambivalente Politik zu allegorisieren. Der 1880–81 begonnene Graf Petöfy kombiniere, unter anderem, Fontanes Empfindungen gegenüber der Homoerotik des ihm persönlich bekannten Grafen Philipp zu Eulenburg mit den Details und Identitäten einer Wiener Hochzeit und denke sie weiter. Weil lesbische Beziehungen legal waren – hier unter Schauspielerinnen – konnten sie das Thema mannmännlicher Liebe ersetzen/ergänzen – vorausgesetzt, sie wurden nicht als solche bezeichnet. In Unwiederbringlich(entstanden 1887–1890) werde der Maltzahn-Stoff mittels der dänischen Verhältnisse 1859–61 allegorisiert und mit Anspielungen auf Philipp zu Eulenburgs Drama Der Seestern (1887) und Skaldengesänge(mehrere Folgen ab 1886) für den jungen Kaiser aktualisiert. In Fünf Schlösser(1888) werde, unter anderem, Eulenburgs persönliche Stellung zum Hohenzollern-Kaiser Wilhelm II. historisch-traditionell legitimiert. Nicolas Passavant ist Doktorand an der Universität Basel, Schweiz. Sein Thema lautet Den Philister spielen. Der Klatsch als Erzähltechnik und politische Strategie in Theodor Fontanes ›L´Adultera‹. 4 Rücke man Fontanes merkwürdigen Protagonisten Ezechiel van der Straaten in den Brennpunkt, lassen sich zwei Forschungsfelder kombinieren: sowohl die bisher wenig beachtete antisemitische Dimension in der Poetik des Klatsches, wie auch die bisher auf Fontanes Korrespondenz konzentrierte Diskussion um seinen eigenen Antisemitismus. Aufgrund der nicht endenden Kette von ungehobelten, rücksichtslosen und selbstzufriedenen Äußerungen van der Straatens habe man ihn überwiegend als ambivalente oder gar»dumme« Figur betrachtet. Van der Straatens Verhalten sei stattdessen eine stark reflexive Verteidigungsstrategie, denn der wahre Gegenstand dieser von Passavant als Klatsch bezeichneten Sprache habe einen anderen Gegenstand in den vielen Anspielungen auf jüdisches Erbe. Dagegen erfülle das spätere Leben von Melanie und Rubehn das Idealbild der Säkularisierung – Anpassung, Arbeit für wenig Geld, Absage an das tradierte Erbe –, das Fontane in jungen Jahren gutgeheißen hat. Van der Straaten bleibe aber unverbesserlich, im Nebel wandernd wie das Stereotyp des Ewigen Juden.
Heft
(2017) 104
Seite
172
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