Theodor Fontane in San Diego 2016 Anderson 173 Passavant fragt, welchen Entwurf die Historie als die adäquatere Haltung gezeigt habe: die Anpassung von Melanie und Rubehn oder van der Straatens Unverbesserlichkeit. Anpassung hätte weder seinen noch Melanies Kindern gegen den biologischen Rassismus der Nazis geholfen. In seiner sturen Rolle als Plaudermaschine innerhalb der Novelle und als Philosoph der Klatschpoetik transzendiere van der Straaten Fontanes eigene politische Bewertung. Brian Tucker, PhD Princeton University 2004, ist Associate Professor am Wabash College, Crawfordsville, Indiana, und verfolgt als Germanist psychoanalytische und ästhetische Ansätze. Sein Beitrag trägt den Titel Honnêteté: über die Rhetorik und Politik der Ehre in ›Schach von W uthenow‹ 5 und arbeitet die politische Signifikanz dieses nicht nur persönlichen, sondern auch sprachphilosophischen Begriffs aus. Der Wortbruch als Aspekt der Ehrlichkeit nehme eine Schlüsselstellung in diesem Roman ein, um Rhetorik und Politik auf der privaten wie politischen Ebene des Geschehens miteinander zu verbinden. Die Erläuterung durch den Brief der Figur Bülow am Ende des Romans wiederhole eine Tendenz in der historischen Schriftstellerei der damaligen Zeit, die den zunehmend empfundenen Ordnungsmangel auf die Unverlässlichkeit der Sprache und letztlich der Bedeutung selbst zurückführe. Vielmehr argumentiert Tucker, dass Fontanes Roman erklären will, wie das Deutsche Reich zu dem wurde, was es war, und dass dies auf die Entscheidung zurückzuführen sei, nicht das zu sagen, was man meint. Kulturell bedingte Abwägungen machten die Sprache unverlässlich und ließen sie zu einer Macht an sich anwachsen. Das Abweichen von der verlässlichen Sprache des Realismus sei die Wurzel politischen Versagens. Peter C. Pfeiffer, langjähriger Professor an der Georgetown University in Washington, D.C., eröffnete die zweite Diskussionsrunde mit einem semiotischen Ansatz über Veränderte Medien, politische und historische Darstellung in Fontanes ›Die Poggenpuhls‹. 6 Das sogenannte Drei-KaiserJahr 1888 erlebte bedeutende Umwälzungen: der erste Kaiser des Deutschen Reiches, Wilhelm I., starb, sein Nachfolger, Friedrich III., erlag wenige Wochen nach der Thronbesteigung seiner Krankheit, und Wilhelm II., der der letzte deutsche Kaiser werden würde, trat seine lange Regierungszeit an. Obwohl die Darstellung auf das Jahr 1888 abgestimmt ist, gebe es im Roman eigentümlicher Weise nichts, was dieses politische Drama widerspiegelt. Dennoch spielten der alte Kaiser und die Kriege, die zur deutschen Einigung geführt haben, eine bedeutende, wenn auch unterschwellige Rolle. Pfeiffer untersucht die verschiedenen Techniken, mit denen Fontane experimentiert hat, um die politische und historische Wirklichkeit jenes Jahres darzustellen. Der Dichter habe eine Reihe von Darstellungsmethoden entwickelt, die sich entschieden von denen unterscheiden, über die er
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(2017) 104
Seite
173
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