Heft 
(2017) 104
Seite
176
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176 Fontane Blätter 104 Vermischtes Begriff»Anthropozän« bezeichnet. Diese Wirklichkeit sei zum Teil ge­meint, wenn von»dem Neuen« im Text gesprochen wird, aber in Der ­Stechlin habe diese Wirklichkeit eine Kehrseite: die drohende»General­weltanbrennung«, von der Dubslav von Stechlin am Ende spricht, vereini­ge revolutionäre Gewalt sowie Gewalt an der Natur, was jedoch von den kosmopolitischen Gestalten im Text eher unterschlagen werde. Thorsten Carstensen, seit der Promotion 2012 an der New York Univer­sity Professor für Deutsch an der Indiana University Purdue University Indianapolis, trug in der session über Modernistische deutsche Literatur und der Alltag, 1890 1940 vor. Sein auf Deutsch gehaltenes paper: Gesprä­che über den Alltag: Theodor Fontane an der Schwelle zur Moderne verzich­tet auf außerliterarische Begriffe und konzentriert sich auf die Erzähltech­nik in Die Poggenpuhls,»dem kürzesten, leichtfüßigsten und zumindest auf den ersten Blick leichtherzigsten der Berliner Romane.« Obwohl die Erzählung im Berliner Alltagsleben der 1880er Jahre verwurzelt ist, bleibe »die Darstellung des Alltags eine zentrale und eigentümliche Leerstelle im Roman.« Thema des Romans sei der schwindende Einfluss der alten Aris­tokratie, und als Roman des Zeitenwandels passe er ins Drei-Kaiser-Jahr 1888. Die alte Praxis»taxierenden Denkens« nach kulturellem Kapital, Fa­miliengeschichte und-ehre stoße auf das neue Denken, das die Menschen nach ihrem Wohlstand bemisst. An einer Reihe unscheinbarer Anspielun­gen, z.B. auf architektonische Details, insbesondere auf den Ausblick aus der Wohnung nach vorn zum historischen Kirchhof und nach hinten auf die Errungenschaften der Gründerzeit, offenbare sich der Status der Pog­genpuhls. Sie seien»lernfähige(Über-)Lebenskünstler, die sich keinen fal­schen Hoffnungen hingeben«. Die kaum vorhandene Handlung formulierte Carstensen analog zum Stechlin:»Zum Schluss stirbt ein Onkel, und drei Schwestern und zwei Brüder leben fortan etwas komfortabler als zuvor. Ein Ende mit den großen Gefühlen ob tragischer oder glücklicher Art wird dem Leser nicht gegönnt.« Ambivalente Gespräche ersetzen eine Handlung, so»ist es nur konsequent, wenn Wendelin,[] durch Abwesen­heit von sich reden macht«, weil er»als Einziger[] seine persönliche Ge­genwart wie Zukunft aktiv« gestalte. Fontanes Figuren offenbarten sich schonungsloser im Gespräch,»als dies ein allwissender Erzähler je könn­te«(nach Daniel Mendelsohn in The New Yorker, 7.3.2011).»Hinter dem Mangel an Handlung[verbirgt sich] auch ein Spiel mit den Konventionen des Erzählens.«