sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial- und Realschullehrer zusammengenommen.“ Wie wenig ein solches Geständnis mit irgendeiner „pietätvollen“ Verbeugung vor dem Vater gemein hatte, wie sehr es objektiven Erfahrungen und Überzeugungen entsprang, werden wir im nächsten Kapitel sehen. Bestätigt wird es aber auch durch den kurz vor den „Kinderjahren“ entstandenen kleinen Roman „Die Poggenpuhls “. Er schließt mit dem Satze „Väter werden fast immer vergessen“. „Meine Kinderjahre“ sind der gültigste poetische Widerruf dieser Behauptung geworden, den die Geschichte der deutschen Literatur kennt. Bereits vorher aber hat Fontane, im 7. Kapitel der „Poggenpuhls“, zunächst noch verschlüsselt und gleichsam nur vor sich selbst, den Widerruf vollzogen. Das Geständnis aus den „Kinderjahren“ wird vorbereitet. Die Übereinstimmung reicht bis in die Wortwahl: „Sieh, das sind so Finessen“, mit diesen Worten beendet der alte General v. Poggenpuhl den Vortrag einiger anzüglicher Anekdoten, „auf die man warten muß, bis man sie zufällig mal aufpickt, sagen wir auf einem Einwickelbogen oder auf einem alten Zeitungsblatt, da, wo die Gerichtssitzungen oder die historischen Miszellen stehn. Denn nach meinen Erfahrungen umschließt die sogenannte Makulatur einen ganz bedeutenden Geschichtsfonds, mehr als manche Geschichtsbücher.“
Der junge Louis Henri Fontane, das verwundert uns nach diesen vorgreifenden Intermezzos nicht mehr, hatte das berühmte Berliner Gymnasium bereits nach wenigen Jahren wieder verlassen, „mit schlichtem Abschied“. Sein Sohn trat auch in dieser Hinsicht ein Vierteljahrundert später in die Fußstapfen des Vaters, und auch der älteste Enkel, Fontanes Sohn George, lehnte es — abermals ein gutes Menschenalter später — ab, ins Abitur zu steigen. Um so größer war Fontanes Erstaunen, als sein zweiter Sohn Theodor nicht nur mit dieser „Familientradition“ brach, sondern auch noch Primus omnium des Französischen Gymnasiums in Berlin wurde. Der Brief, den der verwunderte und beglückte Vater daraufhin an ihn richtete (27. März 1875), ist wiederum zugleich ein Stück ironischen Selbstbekenntnisses, die Brücken zum eigenen Vater hin schlagend: „Mein lieber alter Theo. Ich glaube nicht nur, daß Du der erste ,Primus omnium“ in der Familie bist, ich bin dessen gewiß. Nach meiner nun durch vier Generationen gehenden Kenntnis zählt es zu den fragwürdigen Vorzügen unsres Geschlechts, daß nie ein Fontane das Abiturientenexamen gemacht, geschweige vorher die Stelle eines Primus omnium bekleidet hat. Der Durchschnitts-Fontane (wohin von Mutters Seite auch Deine Vettern gerechnet werden können) ist immer aus Oberquarta abgegangen und hat sich dann weitergeschwindelt, das beste Teil seiner Bildung aus Journalen dritten Ranges zusammenlesend. Ich war schon eine Ausnahme, ein abnormer Zustand, der nun durch Dich seinen Abschluß gefunden hat. Wie immer Dein alter Papa.“
Der Exgymnasiast des Jahres 1809 entschloß sich, Apotheker zu werden, was damals noch ohne Hochschulstudium möglich war. Die Berufswahl des Dreizehnjährigen dürfte eher eine Verlegenheitslösung gewesen sein; Vorbilder innerhalb der Familie oder der Freunde aus der „Kolonie“ gab es dafür nicht. Und eine „Verlegenheitslösung“ blieb der Apothekerberuf für Louis Henri Fontane zeit seines Lebens. Die ersten Konturen der Tragödie eines Charakters werden sichtbar, dem die angemessene Erfüllung versagt blieb und der es verdient hätte, einen Beruf zu finden, der ihm zur Berufung werden konnte. Der Sohn hat später das Menetekel der väterlichen Tragödie oft verzweifelt nah dem eigenen Haupte gespürt
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