Heft 
(1966) 3
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sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial- und Realschullehrer zusammengenommen. Wie wenig ein solches Geständnis mit irgendeinerpietätvollen Ver­beugung vor dem Vater gemein hatte, wie sehr es objektiven Erfahrungen und Überzeugungen entsprang, werden wir im nächsten Kapitel sehen. Bestätigt wird es aber auch durch den kurz vor denKinderjahren ent­standenen kleinen RomanDie Poggenpuhls. Er schließt mit dem Satze Väter werden fast immer vergessen.Meine Kinderjahre sind der gültigste poetische Widerruf dieser Behauptung geworden, den die Ge­schichte der deutschen Literatur kennt. Bereits vorher aber hat Fontane, im 7. Kapitel derPoggenpuhls, zunächst noch verschlüsselt und gleich­sam nur vor sich selbst, den Widerruf vollzogen. Das Geständnis aus den Kinderjahren wird vorbereitet. Die Übereinstimmung reicht bis in die Wortwahl:Sieh, das sind so Finessen, mit diesen Worten beendet der alte General v. Poggenpuhl den Vortrag einiger anzüglicher Anekdoten, auf die man warten muß, bis man sie zufällig mal aufpickt, sagen wir auf einem Einwickelbogen oder auf einem alten Zeitungsblatt, da, wo die Gerichtssitzungen oder die historischen Miszellen stehn. Denn nach mei­nen Erfahrungen umschließt die sogenannte Makulatur einen ganz be­deutenden Geschichtsfonds, mehr als manche Geschichtsbücher.

Der junge Louis Henri Fontane, das verwundert uns nach diesen vor­greifenden Intermezzos nicht mehr, hatte das berühmte Berliner Gym­nasium bereits nach wenigen Jahren wieder verlassen,mit schlichtem Abschied. Sein Sohn trat auch in dieser Hinsicht ein Vierteljahrundert später in die Fußstapfen des Vaters, und auch der älteste Enkel, Fontanes Sohn George, lehnte es abermals ein gutes Menschenalter später ab, ins Abitur zu steigen. Um so größer war Fontanes Erstaunen, als sein zweiter Sohn Theodor nicht nur mit dieserFamilientradition brach, sondern auch noch Primus omnium des Französischen Gymnasiums in Berlin wurde. Der Brief, den der verwunderte und beglückte Vater dar­aufhin an ihn richtete (27. März 1875), ist wiederum zugleich ein Stück ironischen Selbstbekenntnisses, die Brücken zum eigenen Vater hin schla­gend:Mein lieber alter Theo. Ich glaube nicht nur, daß Du der erste ,Primus omnium in der Familie bist, ich bin dessen gewiß. Nach meiner nun durch vier Generationen gehenden Kenntnis zählt es zu den frag­würdigen Vorzügen unsres Geschlechts, daß nie ein Fontane das Abitu­rientenexamen gemacht, geschweige vorher die Stelle eines Primus omnium bekleidet hat. Der Durchschnitts-Fontane (wohin von Mutters Seite auch Deine Vettern gerechnet werden können) ist immer aus Oberquarta ab­gegangen und hat sich dann weitergeschwindelt, das beste Teil seiner Bildung aus Journalen dritten Ranges zusammenlesend. Ich war schon eine Ausnahme, ein abnormer Zustand, der nun durch Dich seinen Ab­schluß gefunden hat. Wie immer Dein alter Papa.

Der Exgymnasiast des Jahres 1809 entschloß sich, Apotheker zu werden, was damals noch ohne Hochschulstudium möglich war. Die Berufswahl des Dreizehnjährigen dürfte eher eine Verlegenheitslösung gewesen sein; Vorbilder innerhalb der Familie oder der Freunde aus derKolonie gab es dafür nicht. Und eineVerlegenheitslösung blieb der Apotheker­beruf für Louis Henri Fontane zeit seines Lebens. Die ersten Konturen der Tragödie eines Charakters werden sichtbar, dem die angemessene Erfüllung versagt blieb und der es verdient hätte, einen Beruf zu finden, der ihm zur Berufung werden konnte. Der Sohn hat später das Menetekel der väterlichen Tragödie oft verzweifelt nah dem eigenen Haupte gespürt

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