— zugleich aber gab es ihm auch die Kraft, rechtzeitig auszubrechen, bevor sich das Schicksal des Vaters an ihm wiederholen konnte: lieber noch ein unglücklicher Schriftsteller zu werden, als ein verunglückter Apotheker zu bleiben. Wir werden bald sehen, auf welche umfassenden politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge dieser für seine ganze Entwicklung bedeutungsvollste Entschluß seines Lebens weist. Erst im höchsten Alter, da alle Gefahren glücklich überwunden waren, entschloß er sich, auch das Berufsschicksal des Vaters mit einer leicht ironischen Aureole zu umgeben, in der das Tragische entwirklicht und in einem an Peter Schlemihls Lebenslauf angenäherten Symbol aufgehoben war: „Sein Lebelang in der Welt umherzukutschieren, immer auf der Suche nach einer Apotheke, ohne diese je finden zu können, wäre wohl eigentlich sein Ideal gewesen.“
Fontanes Vater war achtzehn Jahre alt, als 1814 Chamissos Erzählung erschien. Viele Deutschen glaubten damals, in Peter Schlemihls wunderlichem Los Züge des eigenen wiederzuerkennen, empfanden wenige Jahre später seine Ballade grauenvollster Einsamkeit und Verlassenheit, „Salas y Gomez“, als poetisch umgesetztes Gleichnis des Schicksals einer ganzen Generation. Louis Henri Fontane gehörte lange Zeit nicht zu ihnen. Ein guter Schuß Leichtlebigkeit, um nicht zu sagen Leichtsinn, half ihm über vieles hinweg: über langweilige Lehrjahre in der Berliner Elefanten- Apotheke ebenso wie über aufregende Wochen und Monate als freiwilliger Jäger im Frühjahr 1813. Auch die nationale Enttäuschung von 1815 und den folgenden Jahren traf ihn offenbar weit weniger schwer als den Dichter des „Peter Schlemihl“ und manche anderen, die sich in Bitterkeit und Gram verzehrten oder bald als „Demagogen“ die Kerker zahlreicher europäischer Staaten füllten. Der Apothekergehilfe Fontane, aus dem Kriege zurückgekehrt, zog es statt dessen vor, sein junges Leben zu genießen und „noble Passionen“ zu pflegen. Das Kutschieren mit eigenem Pferd und Wagen gehörte zu den harmloseren unter ihnen, das „Jeu“ nicht. Später verspielte er ein ganzes Vermögen, vorläufig konnte er es sich noch leisten: unverheiratet und Sohn eines gutsituierten Berliner Bürgers, der es mit Hilfe dreier Frauen schließlich zum Hausbesitzer gebracht hatte.
1818 meldete sich der Zweiundzwanzigjährige zum Apothekerexamen zweiter Klasse („damals nicht viel mehr als eine Form“, wie der Sohn abschätzig berichtet), lernte in der Vorbereitungszeit ein Mädchen kennen, das ihm gefiel, legte sein Examen ab, kaufte eine eigene Apotheke und heiratete — alles innerhalb weniger Wochen. Er war auf den Tag dreiundzwanzig Jahre alt. Genau neun Monate und eine Woche danach wurde sein ältester Sohn geboren:
Heinrich Theodor Fontane.
Es war ein Ablauf, wie er unter den begüterten Angehörigen des deutschen Bürgertums, die heil aus den napoleonischen Kriegen heimgekehrt waren, keineswegs als außergewöhnlich gelten konnte. Man wollte nichts versäumen, weder geschäftlich noch sonst, man wollte mit dabeisein, wenn es galt, die ersten Früchte aus dem endlich erreichten europäischen Frieden zu ernten. Jugend galt nicht als Hindernis, vielmehr als Vorzug. Gleichwohl hat Fontanes Vater später — und der Sohn mit ihm — gerade in seiner Jugend und in der jugendlichen Eile, mit der er an die Gründung einer eigenen Existenz und Familie ging, den Hauptgrund für ein Schicksal gesehen, das seine Ehe scheitern ließ und seinen Kindern schon
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