Er blieb einen Augenblick stehn, denn er litt an asthmatischen Beschwerden, und ich mahnte ihn, daß es wohl Zeit sei, umzukehren.
,Ja, laß uns umkehren; wir haben dann den Wind "im Rücken, und da spricht es sich besser. Und ich habe doch noch dies und das auf dem Herzen. Ich sagte eben, meine Jugend war schuld. Und das ist auch richtig. Sieh, ich hatte noch nicht ausgelernt, da ging ich schon in den Krieg, und ich war noch nicht lange wieder da, da verlobte ich mich schon. Und an meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag habe ich mich verheiratet, und als ich vierundzwanzig wurde, da lagst du schon in der Wiege.“
,Mir ist es lieb, daß du so jung warst.“
,Ja, alles hat seine zwei Seiten, und es hat wohl auch seine Vorteile gehabt, daß ich nicht morsch und mürbe war. Aber das mit der Unerfahrenheit bleibt doch ein schlimmes Ding, und das Allerschlimmste war, daß ich nichts zu tun hatte. Da könnt ich’s kaum abwarten, bis abends der verdammte Tisch aufgeklappt wurde.“
,Sonderbar, ich habe so vieles von dir geerbt, aber davon keine Spur. Spiel war mir immer langweilig.“
Er lachte wehmütig. ,Ach, mein lieber Junge, da täuschst du dich sehr, wenn du meinst, daß wir darin voneinander abweichen. Es hat mir auch nie Vergnügen gemacht, auch nicht ein bißchen. Und ich spielte noch dazu herzlich schlecht. Aber wenn ich mich den ganzen Tag über gelangweilt hatte, wollt ich am Abend wenigstens einen Wechsel verspüren, und dabei bin ich mein Geld losgeworden und sitze nun hier einsam, und deine Mutter erschrickt vor dem Gedanken, ich könnte mich wieder bei ihr einfinden. Es sind nun beinah fünfzig Jahre, daß wir uns verlobten, und sie schrieb mir damals zärtliche Briefe, denn sie liebte mich. Und das ist nun der Ausgang. Zuneigung allein ist nicht genug zum Heiraten; Heiraten ist eine Sache für vernünftige Menschen. Ich hatte noch nicht die Jahre, vernünftig zu sein.“
,Ist es dir recht, wenn ich der Mama das alles wiedererzähle?“
.Gewiß ist es mir recht, trotzdem es ihr nichts Neues ist. Denn es sind eigentlich ihre Worte. Sie hat nur die Genugtuung, daß ich sie mir zu guter Letzt zu eigen gemacht habe. Sie hat recht gehabt in allem, in ihren Worten und in ihrem Tun.““
Am Schluß des Gespräches beschwört der alte Fontane die Gestalt der Mutter, und zwar in einer für seine Erinnerungen charakteristischen Funktion: in der einer Folie für das Bild des Vaters.
Emilie Fontane, geh. Labry (1797—1869), Tochter des wohlhabenden Seidenkaufmanns Jean Frangois Labry, war bereits einige Jahre Vollwaise und lebte in einem angesehenen Pensionat der „Kolonie“, als sie, 21 Jahre alt, Louis Henri Fontane kennenlernte, sich mit ihm verlobte und ihn kurz darauf heiratete. Sie überlebte ihn um zwei Jahre. Die Bindung an den ihr in nahezu allen Punkten entgegengesetzt gearteten Mann hatte sie schon wenige Jahre nach der Eheschließung zu reuen begonnen. Diese Reue steigerte sich, je älter sie wurde, zu einer Herbheit, die sich als unüberwindlich erwies. Kurz nach der silbernen Hochzeit zerbrach die Ehe für immer.
„In allem“ habe seine Frau recht gehabt, so läßt Fontane den Vater kurz vor seinem Tode sagen, „in ihren Worten und in ihrem Tun.“ Es war nicht erst die Einsicht des alten Louis Henri Fontane gewesen. An vielen
70