Heft 
(1966) 3
Seite
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Stellen derKinderjahre begegnen wir verwandten Feststellungen, aus­gesprochen vom Vater, vor allem auch vom Erzähler selbst. Dennoch besteht kein Zweifel, daß solches Rechthaben für Fontanes Urteil nicht ausschlaggebend war. Die ergreifende menschliche Wärme, mit der der alte Fontane das Bild des Vaters zeichnet, die Anekdote seines verfehlten Lebens erzählt, kommt nicht zustande, obwohl, sondern weil dieser Vater unrecht gegenüber seiner Frau gehabt und auch ihr Schicksal durch die Bredouille, aus der herauszukommen er nie ernsthaft den Willen auf­brachte, verpfuscht hatte. Fontane beschönigt dieses Unrecht nicht, mit dem Herzen aber ist er auf der Seite des Vaters. In einer Aufzeichnung, die sich in seinem Nachlaß fand, steht die Bemerkung:Unter Umstän­den gibt es keinen anderen zuständigen Gerichtshof als das eigene Herz. DerSchuldige steht ihm näher als derGerechte, vor allem auch: er interessiert ihn mehr. Bereits 1881 schreibt er gelegentlich einmal den Satz nieder:Das Langweiligste von der Welt ist... die reine, weiße, durch nichts gefärbte Vorzüglichkeit.

In vielen seiner Romane begegnen wir verwandten Einschätzungen; es genügt auf das Verhältnis Effis zu Instetten hinzuweisen, dessenOrd­nungssinn der alte Fontane objektiv keineswegs abschätzig betrachtet wissen wollte. Noch näher steht ein anderes Beispiel. Es ist der kleine RomanMathilde Möhring, den Fontane in der gleichen Zeit verfaßte, in der er an denKinderjahren arbeitete. Alle Tüchtigkeit und Energie, aller Aufstiegswillen sind darin in der Frau konzentriert; nur durch sie erlangt ihr bequemer und läßlicher, den nüchternen Pflichten und An­forderungen des Alltags zutiefst abholder Mann überhaupt eine beschei­dene, wenn auch erfolgversprechende Existenz. Wenige Monate, nachdem er, oder besser Mathilde, dieses Ziel erreicht hat, vereitelt er alle weiter­gehenden, ebenso kühn wie bedenkenlos ins Werk gesetzten Pläne und Berechnungen seiner Frau auf die unwiderruflichste Weise: er stirbt. Darf man darin eine höhere Rechtfertigung seiner Natur sehen, vom Dichter entgegengestellt dem Karrierestrebsn der Frau? Fast scheint es so. Wie dem auch sei, wieder begegnen wir dem gleichen Verhältnis. Recht hat die Frau, die Sympathie des Dichters ist auf seiten des Mannes. Ihn stattet er mit Zügen und Neigungen aus, die ihm selbst - und durch ihn hindurch dem Vater eignen. Die Frau, Mathilde Möhring, aber bringt er auf .eine so abgefeimt verschlüsselte Weise in einen un­mittelbaren Zusammenhang mit seiner Mutter, daß diese aufschlußreiche Beziehung bis heute übersehen geblieben ist. Zehn Jahre zuvor hat sich Fontane nämlich einmal, scheinbar beiläufig, über die nahe Verwandt­schaft der NamenMathilde undEmilie ergangen (übrigens war Emilie nicht nur der Name seiner Mutter, sondern auch der seiner Frau). Beiden Namen hafteetwas Festes, Solides, Zuverlässiges an, so wird im 13. Kapitel des RomansCecile geplaudert. Dann heißt es, man höre dabeidas Schlüsselbund (Symbol hausfraulicher Ordnung und Macht) und sehe die Speisekammer.Jedesmal, wenn ich den Namen Mat­hilde rufen höre, so läßt Fontane den Sprecher in jeden Zweifel aus­schließender Deutlichkeit fortfahren,seh ich den Quersack, darin in mei­ner Mutter Hause die Backpflaumen hingen. Die kleine Plauderei schließt als wollte der Dichter im vorhinein auf denbedeutenden Ernst solcher Namenswahl aufmerksam machen mit dem Satze:Ja, dergleichen ist mehr als Spielerei, die Namen haben eine Bedeutung. (Auch der NameMöhring weist beiläufig auf die Eltern Fontanes. Eine sehr angesehene Rüppiner Tischlersfirma, von der sie ihre nach Schin-

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