Heft 
(1966) 3
Seite
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Das Symposion

Wissenschaftliche Arbeit ist an gründliches Quellenstudium und einwand­freien Nachweis, an logische Konsequenz und systematische Darstellung gebunden. Aufgabe des Symposions sollte deshalb die Prüfung der Frage sein, welche Bedeutung das literarische Werk Theodor Fontanes oder einzelne seiner Werke für die von ihm dargestellte Zeit wie für seine eigene Schaffensperiode besitzen; zum anderen auch, ob darüber hinaus von einer Renaissance in unserer Zeit gesprochen werden kann.

Mehr als 30 Fontane-Forscher des In- und Auslandes nahmen an dieser wissenschaftlichen Tagung teil, neben fünf Referaten waren Aussprachen zu den einzelnen Themen vorgesehen. Mit kurzen Auszügen aus den ein­zelnen Vorträgen soll nachstehend versucht werden, einen Überblick über den Ablauf des Symposions zu geben, auch einen gewissen Einblick in die Thematik im einzelnen wie in die Diktion der Referenten zu vermitteln:

Grundpositionen derhistorischen Autobiographie Theodor Fontanes Dr. Hans-Heinrich Reuter, Mitarbeiter des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, leitete das Symposion ein:

Am 3. Oktober 1893 schrieb der Vierundsiebzigjährige (Th. F.) an seinen Freund Friedländer: ,Ohne Vermögen, ohne Familienanhang, ohne Schu­lung und Wissen, ohne robuste Gesundheit bin ich ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als einem poetischen Talent und einer schlecht sitzen­den Hose. (Auf dem Knie immer Beutel.) Und nun malen Sie sich aus, wie mirs dabei mit einer gewissen Notwendigkeit ergangen sein muß.

Ich könnte hinzusetzen, mit einer gewissen preußischen Notwendigkeit, die viel schlimmer ist als die Naturnotwendigkeit...

Die Aufsätze und Bücher über Fontane bis hin zu Otto Brahms Ge­dächtnisrede vom Dezember 1898, die diese Worte (Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du) zum Motto wählten, sind kaum zu zählen. Wenn der alte Fontane ein ,Heimatdichter 1 war, dann in einem Sinne, der die Heimatliebe ,vaterlandsloser Gesellen 1 (man weiß, wen man im hohenzollernschen Deutschland mit diesem Ausdruck belegte) nicht mehr allzu fern stand.

Die ,neue Welt 1 des alten Fontane und seines Helden ist vor allem eine sozial bessere Welt. Nichts von Wundern ä la ,Vom Zeitungsboy zum Dollarmillionär 1 , nichts vom Amerika der Millionenstädte mit seinen Ver­lockungen (Fontane kannte die älteste Weltstadt London viel zu lange und viel zu genau, um derartige Faszinationen noch für ,neu zu halten 1 ). ..

Der Teufelskreis der Autobiographie ist bis zum Zerreißen gespannt.

Noch reißt er nicht. Erst fünf Jahre später wird Fontane in einem Briefe schreiben (übrigens nach bittersten Spottworten über das ,Gesäure eines preußischen, natürlich lutherischen Theologen): ,Mein Haß gegen alles, was die neue Zeit aufhält, ist in einem beständigen Wachsen, und dig i

Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß dem Sieg des Neuen eine furchtbare Schlacht yoraufgehen muß, kann mich nicht abhalten, diesen Sieg des Neuen zu wünschen 1 (an Friedländer, 6. 5. 1895). Schließlich, ein halbes Jahr vor dem Tode, der Rückblick auf die Revolution von 1848 und danach der Satz: ,Unsere Enkel werden erst die wirkliche Schlacht zu schlagen haben 1 (an Friedrich Stephany, den Chefredakteur der Vos- sischen Zeitung, 29. 3. 1898).

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