Heft 
(1966) 3
Seite
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zu diesen Vergessenen gehört. Wenn man aber vergleicht, was in den letzten Jahrzehnten über Goethe, Hölderlin, Stifter oder Rilke geschrie­ben worden ist, so wird man sagen dürfen, daß die Deutschen noch nicht recht wissen, was sie an Fontane haben. Die ,Wanderungen durch die Mark Brandenburg sind eine literarische Gattung sui generis, eine solche höchsten Ranges. Daß wir in dem Roman ,Vor dem Sturm einen histo­rischen Roman von der allerersten Sorte besitzen, wer weiß es?...

Die Freunde Fontanes haben Grund, sich über das wachsende Interesse zu freuen, das man ihm (Th. F.) heute in aller Welt entgegenbringt. Aber an Vernachlässigungen fehlt es nicht. Das Schulbeispiel einer solchen Ver­nachlässigung ist die historische Erzählung ,Schach von Wuthenow. Con­rad Wandrey stand ihr seinerzeit noch völlig verständnislos gegenüber. Als einer der ersten hat sie Eduard Berend in ihrem dichterischen Wert ent­deckt; und es war nach ihm Georg Lukäcs, der die Erzählung als kleines Meisterwerk bezeichnete: ,ein noch lange nicht in seiner vollen Bedeutung erkannter einsamer Gipfel der deutschen historischen Erzählkunst.... Dabei kann es kaum zweifelhaft sein, daß es sich in der Tat um ein kleines Meisterwerk handelt. Wie Fontane seine Gesprächskunst in den Salons der Frau von Carayon oder des Prinzen Louis Ferdinand plau­dernd entwickelt; wie er den geschichtlichen Hintergrund mitspielen läßt und die Schauplätze der Handlung mit der Geschichte des Helden ver­knüpft, wäre von Kapitel zu Kapitel aufzuzeigen. Es ist ebenso genuß­reich wie bewundernswert... Zeitweise wird der wortgewandte Bülow zum Sprecher Fontanes, ohne es ganz zu sein. Aber die Gesellschafts­kritik der Novelle ist in hohem Maße die Gesellschaftskritik dieser Figur....

Die Gesellschaftskritik Bülows bleibt demnach als ein Teil des Ganzen im Recht. Die ein wenig elegische, fast sentimental anmutende Beurtei­lung Victoires ist der andere Teil, der nicht weniger Recht behält. Auf die Schärfe der Gesellschaftskritik (in Bülows Brief) folgt das verzeihend Menschliche im Brief Victoires. Der Fall des Schach von Wuthenow er­scheint damit in der doppelten Optik, die Fontane immer wieder dich­terisch zu beglaubigen vermag. Beide Teile der in Königsberg und der in Rom geschriebene Brief machen das Ganze aus, das Erzählbewußt­sein unserer Erzählung.

Theodor Fontanes Begegnungen 1895 im Spreewald

nennt Dr. habil. Mötäk seinenVersuch einer kultur- und volksgeschicht­lichen Kommentierung des Spreewaldkapitels seiner ,Wanderungen durch die Mark Brandenburg :

Fontanes Ausführungen zur Trachtenproblematik sind auch darum in­teressant, da sein Besuch in eine Zeit fällt, in der die volkskundliche Forschung höchst bedeutsame Änderungen in der Kleidungsweise der niedersorbischen Frauen feststellte, deren Ursachen im aufkeimenden Kapitalismus und der hierdurch verursachten verkehrsmäßig stärkeren Erschließung auch der Niederlausitz gesucht werden. Obwohl die Frauen nur in . Ausnahmefällen ihren engeren Wohnbereich verließen, fanden allgemeine modische Neuheiten dennoch mehr als früher ihren Weg ins sorbische Dorf, wo sie allerdings damals sofort ,nach eigenem Geschmack umgeformt wurden....

Überblicken wir zusammenfassend jene Momente, die im Spreewald vor der Folie des rein Landschaftlichen die Aufmerksamkeit des Wanderers

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