JOACHIM SCHOBESS
Uber den Wiederaufbau des Fontane-Archivs
Diskussionsbeitrag am 17. Dezember 1965
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde Theodor Fontanes!
Die heutige Tagung, so meine ich, erfüllt uns hinsichtlich der Perspektive der Fontane-Forschung mit einem freudigen Optimismus. Ohne diesen Optimismus, ohne die Liebe und Hingabe am Werk unseres verehrten Meisters wäre es undenkbar, daß Fontane-Forscher und Freunde des Fontane-Archivs, wie es Herr Dr. Brandes in einleitenden Worten bereits hervorhob, von London mit dem Flugzeug zu uns eilten oder die beschwerliche Bahnfahrt von Göttingen, München, Hamburg, Stuttgart, Jena und Weimar auf sich nahmen, nur — um 48 Stunden unter uns zu weilen. Ihnen allen, sei noch einmal aufrichtiger Dank gesagt.
Das Symposion zeugt aber auch von der Lebenskraft des Werkes Theodor Fontanes, 67 Jahre nach seinem Tode. Die heutige Tagung und ihr Ergebnis ist der schönste Lohn für alle, die sich in den letzten 20 Jahren mit Liebe und Hingabe der Arbeit am Nachlaß Theodor Fontanes und der publizistischen Erschließung seines Werkes widmeten. Herr Professor Dr. Martini, Stuttgart, schrieb: „Sehr herzlichen Dank für Ihre liebenswürdige Einladung, an der Dreißigjahrfeier Ihres Archivs am 17./18. Dezember teilzunehmen, Sie haben ein verlockendes Programm aufgebaut — verlockend genug, um Ihrer Einladung zu folgen. Aber die Wahl des Freitag ist für mich sehr ungünstig, denn das ist ein Vorlesungstag bei mir, und ich kann im kurzen Semester nichts ausfallen lassen, da ich schon wegen meiner Reise verspätet beginnen mußte. Es tut mir wirklich leid, denn ich hätte gern die Vorträge gehört und mich in Ihrem Kreise bewegt. Auch wäre jetzt wahrscheinlich der Termin für die Einreisegenehmigung schon zu kurz geworden.
Grüßen Sie bitte alle Teilnehmer. Hoffentlich können Sie die Vorträge zusammen veröffentlichen, so daß man dann nachträglich und aus der Ferne daran teilnehmen kann. Vielleicht ein andermal.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1948, drei Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, erschien in der Zeitschrift „Heute und morgen“ ein Aufsatz: „Fontane, der Seher des Unterganges“. Tatsächlich kam sich der hellsichtige, scharf beobachtende alte Fontane in seinen letzten Lebensjahren hinsichtlich der preußisch-militaristischen Profilierung des wilhelminischen Deutschlands nach seinen eigenen Worten „wie auf dem Vulkan tanzend vor“.
Die Zeit nach 1945 führte in zunehmendem Maße zu einer Aufgeschlossenheit bei vielen humanistisch eingestellten Menschen in Deutschland für das Werk des „Sehers“ Theodor Fontane, der in seinem letzten Roman „Stechlin“ dem „Neuen“ einen beachtlichen Platz eingeräumt hatte. Ohne diese allgemeine positive Zeiterscheinung wäre m. E. der Wiederaufbau der 1945 durch Kriegseinwirkung und Diebeshand dezimierten Nachlaßsammlung Theodor Fontanes, der in steigendem Maße — nicht zuletzt dank der Arbeit von hier im Saale sitzenden Damen und Herren — als ein Dichter von hohem literarischem Rang erkannt wurde, schwieriger gewesen.
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