Heft 
(1966) 3
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er es hier wörtlich wiederholt:Rückblickend läßt sich sagen, daß in der damaligen Haltung des Offizierskorps sich zum ersten Male in der preu­ßischen Geschichte jene reaktionäre Synthese von Korpsgeist und Nationa­lismus zeigt, wodurch die späteren Ereignisse so oft entscheidend be­stimmt werden sollten.

Wie die gesellschaftliche Stimmung in Fontanes Erzählung angeregt wird, schildert der Verfasser in dem KapitelDas Theater ist die Stadt. Wir erfahren Näheres über die Uraufführung von Zacharias Werners Schau­spielDie Weihe der Kraft am 2. Juni 1806, über die Zustimmung, den Widerwillen und Spott, die das Stück in Berlin fand und schließlich über die seltsameSchlittenfahrt der Offiziere des Regiments Gensdarmes. Sagave nennt diese Episode Selbstgefälligkeit und Übermut vor dem Fall, die letzten Endes der dünkelhaften Selbstgefälligkeit eines dem Unter­gang geweihten militärischen und gesellschaftlichen Systems entspringen.

DerFall Schach, so lautet die letzte Untersuchung, ist ein Symptom dieser dem Absterben verfallenen oberen Gesellschaftsschicht. Dierich­tige und diefalsche Ehre durchziehen wie ein roter Faden die Hand­lung des Ablaufes in FontanesSchach von Wuthenow. Die Offiziere des Regiments Gensdarmes wollen mehr scheinen als sein, sie gefallen sich in der Sucht zu blenden. Der Prototyp ist Major Schach; bei ihm scheint, wie Sagave schreibt, das Konventionelle im Junkertum auf die Spitze getrieben. Meisterhaft versteht es Sagave, die Kunst Fontanes ins rechte Licht zu rücken. Der Erzähler Theodor Fontane führt uns mit Zurückhaltung vor Augen, wie sich bei Major Schach nach der vom König befohlenen Heirat mit einer unschönen und nicht standesgemäßen Frau, der Schach eine schwache Stunde gewidmet hatte, unter Angstzuständen der Gedanke durchsetzt, daß bei der Isolierung in der junkerlichen Ge­sellschaft und der Entkleidung seiner Stellung und seines Dünkels, statt des inneren Kerns der sittlichen Persönlichkeit ein Nichts, ein Vakuum, übrigbleibt. Hier haben wir diefalsche Ehre, die der Inbegriff des lebens- und menschenfeindlichen Klassenstandpunktes des frideriziani- schen Junkertums war und unabwendbar in der Katastrophe enden mußte.

Theodor Fontane brachte es in einem Brief an seine Frau vom 19. Juli 1882 auf einen Nenner, indem er schrieb:»,,... Er hat mit der Mutter ge- techtelmechtelt (was auch mitwirkt) und hat hinterher in einem unbewach­ten Moment die mindestens in Frage gestellte Schönheit Victoires über ihrer großen Liebenswürdigkeit und einem gewissen, ihr verliehenen Reiz vergessen. Nun soll er sie heiraten. Er schwankt, endlich will ers, weil ers wollen muß; die Mutter verlangt es, sein eigenes Rechtsgefühl verlangt es, der König verlangt es. Dies Letztere gibt den Ausschlag, er muß nun unbedingt. Zugleich empfindet er, daß er, der eitle, stolze Mann, der ohne die Bewunderung der Welt und seiner Kameraden nicht leben kann, sich für immer zur Lächerlichkeit verurteilt sieht; wenigstens er­scheint es ihm so, und nicht aus noch ein wissend, erschießt er sich, nach­dem er durch Trauakt seinen faux pas rektifiziert hat.

Eindringlich betont Pierre-Paul Sagave die große Erzählkunst und die Kunst der MenschSndarstellung des Romanciers Theodor Fontane. Behut­sam hält sich Fontane zurück, seine Sympathie liegt bei Schach, der ein Opfer seiner Umwelt und der gesellschaftlichen Zustände wird, nicht bei Bülow, dem Kritiker und Doktrinär. Fontane ergreift nicht Partei; er

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