Sache der Revolution und für ihre Vertreter scheuen, 25 von denen er viele — darunter Bakunin — zu seinen Freunden zählte. Obwohl er die Volksfeindlichkeit und die Mißstände aller Art in den regierenden Schichten Preußens klar erkannte, huldigte Varnhagen überdies dem Glauben an eine „glorreiche“ preußische Vergangenheit. Ganz im Gegensatz zu dem vierundzwanzigjährigen Fontane, der — von keiner Tradition belastet — Preußen damals jede progressive historische Bedeutung absprach, hing Varnhagen an der „geschichtlichen Erscheinung“ des Preußentums und an der Idee, daß Preußen zur Führung des künftigen Deutschlands bestimmt sei. Fünf Wochen nach den freudig begrüßten Märzereignissen sah er eine Gefahr darin, daß „die neue Freiheit“, die die Revolution mit sich gebracht hatte, Preußen klein mache und daß die bisherige Staatsgewalt zerbrechen könne. Varnhagens Kompromiß ging dahin, daß er „die Erbschaft des Guten im Alten mit hinübernehmen“ wollte in das Neue. 26 Derartig zwiespältige Empfindungen und Erwägungen führten im Jahre 1848, das eindeutige Parteinahme, kein Lavieren zwischen Gegensätzen forderte, selbst bei dem geschmeidigen Diplomaten zu einer leichten Krisis, der eine Art Selbstüberprüfung folgte. Den Anstoß dazu aber gab am 31. August die Lektüre von Fontanes oben zitiertem Artikel „Preußens Zukunft“. Nur die unbedingte Wahrhaftigkeit, die aus diesem Aufsatz spricht, konnte eine so aufrüttelnde Wirkung hervorbringen, wie es bei dem ehemaligen Hofmann geschehen ist. Die Ehrlichkeit, die seinem Charakter zugrunde lag, öffnete Varnhagen die Augen darüber, in welch unvereinbarem Gegensatz seine preußenfreundlichen Bestrebungen zu seinen Erkenntnissen standen. Fontane lehrte ihn, daß es unmöglich war, Preußen an der Spitze Deutschlands sehen zu wollen und gleichzeitig dieses Preußen wegen der Brüchigkeit, Leere und Verderbtheit seines Reaktionsregimes zu verurteilen. Seine Anhänglichkeit an die Preußenidee geriet ins Wanken. Vielleicht war es nicht nur Schmerz über die ihm zum Bewußtsein kommende Sinnlosigkeit seines publizistischen Tuns, 27 sondern auch Scham, wenn seine politisch-journalistische Tätigkeit zum Nutzen des von Fontane zum Tode verurteilten Preußens ihm den Ausruf „Es ist entsetzlich!“ hervorlockte, denn fast gab er die „kleine Schrift“, die er gerade für das Fortbestehen dieses Staates verfaßte, 28 der Vernichtung preis und entschloß sich nur „nach neuem Kampf“, sie an den Verleger Reimer abzusenden. 26
Hier nun Varnhagens Gedankengänge nach der Lektüre von Fontanes oben zitiertem Artikel im vollen Zusammenhang:
„In der frankfurter Oberpostamts-Zeitung“ stehen arge Artikel gegen Preußen; wir sollen uns dem Reichsverweser unbedingt unterwerfen. 30 Ein kleiner, trefflich geschriebener Aufsatz in der ,Zeitungshalle‘ hier, von Th. Fontane unterschrieben, sagt gradezu, Preußen stirbt, und muß sterben, es soll seinen Tod sogar eigenhändig vollziehen! Dies hat mich
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