Meine Diner-Beschreibung ist so ausführlich geworden, daß ich nun doch noch auf den dritten Bogen muß. Nur noch eins. Die Depensen sind, glaub ich, ein gut angelegtes Kapital. Du versiehst es darin, daß Du zuviel klagst, und ich habe vor, dies einigermaßen wieder in Balance zu bringen. Es gibt einem ja niemand etwas. Heiterkeit und Zuversicht sind der halbe Sieg. — Gestern (Donnerstag) abend war ich bei Tante Merckel, deren Cäcilie übrigens die Aufwartung beim Diner übernommen und ganz gut gemacht hatte, nur immer von der falschen Seite. Aber das ist kein Unglück. Sie sah sauber und manierlich aus. Natürlich trank ich bei Tante Merckel nur eine Tasse Tee und las ihr Deinen Brief vor, mit Unterschlagung der Stelle über Theo. 20 Ich weiß nicht, wie es kam, aber plötzlich steckte ich in meinen Angelegenheiten. Es fällt mir jetzt auch die Veranlassung ein: Frl. v. R. 21 und die furchtbare Lehnert-Frage. 22 Ich sagte ihr meine Ansicht, wurde immer lebhafter und kam dabei ganz ungesucht auf das Benehmen ihres Bruders-’ und des ganzen Kultusministeriums gegen mich zu sprechen. Ich sagte furchtbar scharfe Sachen, bat dann wieder um Entschuldigung, küßte ihr die Hand und ging dann aufs neue los, weil sie mir drei-, viermal versicherte, es sei ihr eine Befriedigung, mich mal darüber sprechen zu hören. Mein Haupttrumpf war etwa der folgende: „überall Enge und Kleinheit, nirgends Freiheit und Freudigkeit; ein dürrer, totmachender Zug geht durch diese ganze Verwaltung, nichts kann aufkommen, weil nichts aufkommen soll; die ganze Welt besteht aus Dorfschulmeistern, die in Hunger gehalten werden müssen, um besser gemaß- regelt werden zu können, und nach dieser kümmerlichen Schablone hat man auch mich traktiert. Der ganze Geist, aus dem heraus man mich wie einen halben Bettler und Querulanten behandelt, ist eine schnöde Beleidigung gegen mich; wenn sie ihr Metier verstünden, wenn sie wüßten, was sich für ein preußisches Kultusministerium schickte, so hätten sie mir diese lumpigen 300 Taler längst als Unterstützung auf Lebenszeit angeboten". Du siehst, daß ich nicht blöde war. Helfen wird es wohl nicht, aber schaden wird es auch nicht.
Freitag, d. 6. Mai. Heute mittag war mir nicht recht wohl, ich fühlte mich angegriffen, und da ich um 5 in die Stadt mußte (Rendezvous mit Sommerfeldt bei Justizrat Willberg (?) wegen der Quittung für Kriescht 2 ' 1 ), schrieb ich an Frau Clara ab. Ich war nämlich gestern bei Tisch durch sie, und zwar im Namen der alten Exzellenz, zu Baeyers 25 eingeladen worden. Nach einigem Zögern hatte ich angenommen. Heute abend nun zu fehlen war mir peinlich, aber einerseits wollte ich auf diesem schlüpfrigen Boden doch gern fest auf- treten, und dazu muß man sich wohlfühlen, andrerseits hätte ich sonst wahrlich die Zeit nicht finden können, diesen Brief zu schreiben. Ich werde mich nun morgen in Person entschuldigen. — Heute hatte ich auch einen Brief von meinem Paretzer Hofgärtner. Immer der alte, ein Non plus ultra von Artigkeit; Hesekiel nennt mich zwar jetzt auch „Prinz Fontane", aber was will dieser Scherz sagen gegen den blutigen Ernst der Hofgärtner-Devotion. Sonntag werde ich wieder mit einem langen Aufsatz fertig, schreibe in nächster Woche Woche Paretz 26 und werde wohl am 15. oder 22. d. M. einen Sonntag dort zubringen. Nun gute Nacht. Morgen noch ein paar Zeilen. Übrigens hab ich vor einigen Tagen ein Gedicht an Dich gemacht. Was einem alten Menschen alles noch passiert!
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