Heft 
(1970) 10
Seite
81
Einzelbild herunterladen

Sonnabend, d. 7. Mai. Eben komm ich von meiner Visite bei Baeyers. Zunächst traf ich nur die alte Exzellenz, die ich (es machte sich so) von Kirchhöfen, Begrabenwerden, Grabreden und ähnlichen Heiterkeiten unterhielt. Endlich merkt ich, daß es keine Themata für einen 75er seien. Gegen Schluß hin kam Frau Clara und Frl. Jeanette; ich war ganz unbefangen, möchte aber doch, daß Anknüpfungen und Einladungen unterblieben.

Nun lebe wohl, grüße mir meinen Liebling, der sich jetzt hoffentlich so ent­wickelt, daß er in dieser Stellung verbleiben kann, herzlichste Empfehlungen an M. s Dir aber Gruß und Kuß von Deinem alten Th. F.

Morgen mittag bin ich bei Wangenheims 27 , d. h. bei dem Papa und Ida; die andre Hälfte ist bereits in Karlsbad. Eine Einladung zu Hesekiels zu heut abend (auf Forellen) hab ich abgelehnt. Es wird mir zuviel.

Geliebte Frau.

Berlin, 23. Mai 1870

Vorgestern abend, als ich mit Lepel in den Brieselang aufbrach 28 , gab ich einen Brief an Dich zur Post, da es aber, wegen Menschenandrang, nicht mög­lich war, an das betr. Fenster vorzudringen, und wir eilen mußten, um den Zug nicht zu versäumen, so gab ich den Brief einem Beamten der Gepäck- Expedition, fügte 2 V 2 für seine Bemühung hinzu und vertraute im übrigen seiner Ehrlichkeit. Ich glaube, mit Recht. Man kann's aber doch nie wissen, und deshalb zeig ich Dir eigens in diesen Zeilen an, daß ich am Sonnabend geschrieben habe, dazu verschiedene Einlagen von Luisen.

Sei so gut und schreibe mir, resp. Luisen, mit Nächstem, wie Du es mit der Wohnungsaufbesserung gehalten wünsch [s]t, ob sich Luise auf Streichen und Bohne [r]n Deiner Stube beschränken oder auch alle Hinterzimmer streichen soll? ob ich Türenstreichen und Zimmertapezieren in Deiner Abwesenheit besorgen soll oder ob Du es vorziehst, dies und andres in den Wochen zu arrangieren, wo ich fort sein werde? Denn eine Anzahl von Wochen werd ich doch jedenfalls fort sein, auch wenn es zwischen uns was ich von ganzer Seele wünsche zu einem herzlichen und dauernden Friedensschlüsse kom­men und Dein trübes, mißbilligendes Gesicht mich nicht vertreiben sollte. Ich wiederhole Dir, daß ich das von Herzen wünsche, und kann immer noch wiewohl ich ja Deinen Charakter nun nachgerade kenne die Hoffnung nicht unterdrücken, daß Du über kurz oder lang die Situation mit viel günstigeren Augen ansehn wirst. Ich freue mich nach wie vor, daß ich diese öde, pedan­tische, langweilige und völlig aussichtslose Geschichte los bin.

Unsre kleine Brieselang-Reise war entzückend, trotzdem sie mit einem kolos­salen Gewitter abschloß. Auf der Fahrt von Spandau bis Berlin schlug es zwei­mal dicht neben dem Zuge ein, es wäre nichts für Dich gewesen. Ergeh es Dir gut, einen herzlichen Kuß für Dich und Mete von Deinem Th. F.

Daß Du Dich nicht recht wohlfühlst, darf Dich nicht verstimmen. Ich kann mich zwar nicht entsinnen, daß es uns in Camden Town 29 ebenso erging, namentlich warst Du im allgemeinen munter, und meine Verstimmung wäh-

81