Heft 
(1970) 10
Seite
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Es ist aufschlußreich und charakteristisch, daß das wohl beste von den hier vorgelegten Gedichten keiner Erläuterung bedarf, um so weniger als Fontane selbst erklärt, wasLebens März" bedeutet. Er grüßt nämlich Clementine von Weigel zu ihrem Geburtstag mit diesen beiden Strophen:

Ich drücke nicht die Hand ans Herz Mit Zwinker-Blick und Flüster-Bangen,

Ich bin seit meines Lebens März Kusslos durch jeden Gang gegangen;

Und doch, an einem Tag wie heut Fühl' ich mich jugendlich bezwungen.

Und ob auch andrer Los mir dräut,

Der Schönheit meine Huldigungen!

Berlin, 16. Mai 72

macht jedoch mit Hilfe eines Sternchens eine Anmerkung zuLebens März" und will darunter eine

Steigerung vonLebens Mai" verstanden wissen.

Auch zur Interpretation eines anderen Gedichtes, das nach Emdens Aufzeich­nungen an Clementine von Weigel gerichtet sein soll, aber wahrscheinlich für die am 1. Januar geborene Helene bestimmt war, hat Fontane selbst beige­tragen, indem er den Versen einige Prosazeilen anfügte. Das nicht datierte Gedicht lautet:

In einem Tal bei armen Hirten Erschien mit jedem jungen Jahr,

Wenn die Sylvester-Gläser klirrten.

Ein Mädchen schön und wunderbar.

Sie bracht' ein Tüchel, drin befanden Sich Pfefferkuchen aller Art,

Und Helden beieinander standen,

Und Farben waren nicht gespart.

Willkommen waren alle Gäste,

Doch nahte sich das ältste Paar,

Dem reichte sie der Gaben beste:

Creme de Cacao freundlich dar.

Nun fällt sofort in die Augen, daß Fontane hier das bekannte Gedicht Fried­rich SchillersDas Mädchen aus der Fremde" für seine Zwecke verwandt hat, und zwar in einer Weise, die der Ironie und der schalkhaften Verwandlungs­kunst nicht entbehrt. Während Schillers Gedicht sechs Strophen aufweist, hat sich Fontane mit drei Strophen begnügt. Dabei sind allerdings aus denersten Lerchen" SchillersSylvester-Gläser" geworden. Die Blumen und Früchte, die Schillers Mädchen bringt und die zudemin einem andern Sonnenlichte" ge- r eift sein sollen, haben sich bei Fontane in Pfefferkuchen-Helden verwandelt.

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