Heft 
(1970) 10
Seite
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An die Stelle des »liebenden Paares", von dem der klassische Dichter spricht, ist das »ältste Paar" getreten. Es erhält nicht, wie bei Schiller, »der Blumen allerschönste', sondern schlicht und einfach »Creme de Cacao". Der ironische Abstieg in die Realität wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß bei Schiller die Blumen und Früchte ja nicht als wirkliche genommen werden wollen, sondern Symbolwert haben.

Fontane fügt dem Gedicht folgende Bemerkung an:

Ob das Tal der armen Hirten in Mecklenburg-Strelitz gelegen hat, ist, trotz Bormann, noch immer zweifelhaft; deso sichrer aber ist fest­gestellt, »woher sie kam". Dies ist der neuste Stand der Frage.

Diese nicht minder ironischen Worte beziehen sich auf eine kleine Schrift, die der Provinzialschulrat Karl Bormann, Mitglied des .Tunnels" und des Rytly, Ende 1871 oder Anfang 1872 unter dem Titel »Das Mädchen aus der Fremde' hatte erscheinen lassen 21 . Im Gegensatz zur bisherigen, ziemlich einhelligen Auffassung, wonach das Schillersche Gedicht, das 1796 entstand und zuerst im Musenalmanach für 1797 erschien, die Poesie oder die Kunst überhaupt zum Gegenstand haben sollte, will Bormann nachweisen, daß der Gegenstand des Gedichtes die Muse sei, die alljährlich in Gesalt des Musenalmanachs in Er­scheinung tritt. Sie erscheint »in einem Tal bei armen Hirten", weil vom Musenalmanach der erste Jahrgang (1796) bei dem Hofbuchhändler Michaelis in Neustrelitz in Mecklenburg herauskam und auch der zweite Jahrgang (1797) eigentlich dort verlegt werden sollte (er wurde jedoch nachher dem Verlag Cotta in Tübingen übertragen). Das Tal der armen Hirten, so argumentiert Bormann, gestützt auf volkswirtschaftliche Fakten (wofür er sich entschul­digt!), ist das ökonomisch rückständige und arme Land Mecklenburg. Schil­lers Worte »man wußte nicht, woher sie kam" beziehen sich nach Bormann auf die Anonymität vieler Beiträge zum Musenalmanach. Die »Blumen' seien die darin enthaltenen Distichen, die »Früchte" die Xenien. Mit den Worten aber »der Blumen allerschönste' sei Goethes Idylle »Alexis und Dora' gemeint, die den Musenalmanach für 1797 eröffnete.

Diese natürliche, den Symbolgehalt einschränkende Erklärung desMädchens aus der Fremde" scheint Fontane nicht ganz eingeleuchtet zu haben. Sicher glaubt er nur zu wissen, »woher sie' d. h. eine der Schwestern von Weigel »kam".

Wir hingegen können aus Fontanes kurzer Auseinandersetzung mit Bormanns Auffassung immerhin soviel entnehmen, daß das Gedicht nicht vor Ende 1871 bzw. Anfang 1872 entstanden sein kann.

Als Fontane nach seinem 70. Geburtstage für einen großen Berg von Glück­wünschen schriftlich zu danken hatte, entschuldigte er sich mit folgenden Zeilen bei Helene von Weigel, weil er der Feier ihres Geburtstages fern bleiben mußte:

Daß ich gerade heute zu Cour und Handkuß nicht erscheinen kann!

Aber von Auge zu Auge oder vom Schreibtisch aus, immer Ihr dankbar

und treu ergebenster

Th. Fontane Jubelgreis

Berlin, 1. Januar 90

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