Heft 
(1970) 10
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und Schaffenskrisen bedroht war. ,Man hat vor den gewöhnlichen Lumpe»- hunden nur das voraus, daß man wie der wittenberg-studierte Hamlet sich über seine Lumpenschaft vollkommen klar ist'. Das schreibt Fontane am 28. Juli 1850 an Lepel, wenige Monate vor seiner Ehe mit Emilie Rouanet- Kummer. 1864, als der preußisch-österreichische Krieg gegen Dänemark ge­führt wird, steht er als Berichterstatter auf Seiten einer Armee, die nicht im Namen des Volkes, sondern der preußischen Dynastie kämpfte. Theodor Storm, seit 1850 mit Fontane gut bekannt, hat diese Kompromißhaltung an dem Gedicht ,Der Tag von Düppel' ausgezeichnet erfaßt: .Das Fontanesche Einzugslied ist meisterhaft, obgleich überall der Zipfel der verfluchten Kreuz­zeitung heraushängt; ich habe ihm gratuliert, doch zugleich die Hoffnung ausgesprochen, daß er der letzte Poet einer trotz alledem dem Tode verfal­lenen Zeit sein möge, in der die Tat eines Volkes erst durch das Kopfnicken eines Königs Weihe und Bedeutung erhalte. Das Lied feiert überhaupt nur die militärische Bravour; von einem sittlichen Gehalt der Tat weiß es noch nichts' (an Constanze Storm, 27. Dezember 1864).

.Dabeigewesen' war Fontane auch zwei Jahre später im Bruderkrieg gegen Österreich. Wie in dem Buch ,Der Schleswig-Holsteinsche Krieg im Jahre 1864', das 1865 erschienen, aber infolge der geschichtlichen Entwicklung kaum be­achtet worden war, bemüht er sich auch bei dieser journalistischen Gelegen­heitsarbeit nicht nur um größte Sachlichkeit und Zurückhaltung, sondern ein Grundzug seines künftigen epischen Werkes um Gerechtigkeit gegen­über der anderen Seite. ,Wir sind uns bewußt', schreibt er über ein Reiter­gefecht, mit dem am 3. Juli 1866 die Entscheidungsschlacht bei Königgrätz beendet wurde, .ohne alle Voreingenommenheit an die Frage herangetreten zu sein; wenn aber doch, so mit einer gewissen Präokkupiertheit zugunsten unseres Gegners. Das Unglück und die Tapferkeit dieser ausgezeichneten Regimenter, zudem eine angeborene Neigung; jedes Recht und jeden Vorzug zunächst auf Seite des Gegners zu suchen alles stimmte uns für Österreich in dieser wie in mancher anderen Frage.'

Einschließlich des Kriegsberichts über die Jahre 1870/71 (.Der Krieg gegen Frankreich 18701871'), der zwischen 1872 und 1876 erschien, hat Fontane von seinem 45. bis 57. Lebensjahr fast 3400 Druckseiten in Großformat über die militärischen Ereignisse veröffentlicht. Eine Anerkennung ist ihm vom preußischen Staat nicht zuteil geworden; wesentliche wirtschaftliche Erleichte­rungen brachten ihm Arbeit und Strapazen, die damit verbunden waren, nicht. Ein Brief vom 30. November 1876 an Mathilde von Rohr, vertraute literarische Freundin aus dem Kloster Dobbertin, ist Zeugnis einer grundlegenden Ab­rechnung mit jener Phase seines Schaffens, die ganz der Glorifizierung des Preußischen gewidmet war und zugleich eine erste Auseinandersetzung mit der künstlerischen Verlogenheit und moralischen Heuchelei der Gründerjahre brachte. Neben den Erlebnisberichten über Frankreich kann er darum als ein Auftakt des Spätwerkes angesehen werden: .Immer die unsinnige Vorstellung, daß das Mitwirtschaften in der großen, langweiligen und, soweit ich sie kennengelernt habe, total konfusen Maschinerie, die sich Staat nennt, eine ungeheure Ehre sei. Das Frühlingslied von Uhland oder eine Strophe von Paul Gerhard ist mehr wert als dreitausend Ministerialreskripte. Nur die ungeheure Eitelkeit der Menschen, der kindische Hang nach Glanz und fal-

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