Heft 
(1970) 10
Seite
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scher Ehre, das brennende Verlangen, den alten Wrangel einladen zu dürfen, oder eine Frau zu haben, die Brüsseler Spitzen an der Nachtjacke trägt; nur die ganze Summe dieser Miserabilitäten verschließt die modernen Herzen gegen die einfachsten Wahrheiten und macht sie gleichgültig gegen das, was allein ein echtes Glück verleiht: Friede und Freiheit. Je älter ich werde, je mehr empfinde ich den Wert dieser beiden. Alles andre ist nichts.' Und er schließt diesen Brief mit Worten, aus denen die Klage Lessings, Schillers oder Hölderlins über die Misere des deutschen Schriftstellers zu hören ist: Für ein einziges niederländisches Genrebild sind hundertvierzigtausend Franken gezahlt worden, und wenn man will, so fliegt das Geld nur so. Mir gegenüber wollte man einfach nicht. Eh bien, es muß auch so gehn. Aber freilich hat es mehr zu meiner Erbitterung als zu meiner Erbauung gedient.'

Fontane hat vor der unheilvollen Entwicklung in Preußen nie die Augen ver­schlossen. Auch zwischen 1850 und 1870, als der Wille zur Selbsterhaltung den freiheitlichen Publizisten der Märzrevolution zwang, sich in den Dienst der preußischen Regierung und Presse zu stellen, hat er seine menschliche Lauter­keit nie preisgegeben. Der altpreußische Adel, dem seine Zuneigung stets galt, erscheint in seinen Werken eher in balladesker Idealität als in junkerlicher Realität, und je mehr sich die rückschrittlichen Gewalten in Preußen etablier­ten, desto stärker suchte sich Fontane zu distanzieren. ,Man ist bloß eine Sache, man hat den Wert eines Maschinenrades, das man mit öl schmiert, solange das Ding überhaupt noch zu brauchen ist, und als altes Eisen in die Rumpel­kammer wirft, wenn die Radzähne endlich abgebrochen sind. Aber so gewiß ich das Brutale schmerzlich empfinde, so hab ich doch nun gerade einsehen gelernt, daß es hierzulande, in den gesegneten Gauen des Norddeutschen Bundes, überall so ist...' (an Emilie Fontane, 4. Dezember 1869).

Den äußeren Bruch mit den preußisch-junkerlichen Auftraggebern hatte Fon­tane kurz vor dem Krieg vollzogen: Im April 1870 löste er die Beziehungen zur ,Kreuzzeitung', deren Redakteur des .englischen Artikels' er ein Jahrzehnt lang gewesen war. Als Theaterkritiker der .Vossischen Zeitung', liberal-groß­bürgerliche Konkurrentin der .Kreuzzeitung', fand er ein weniger festes Ar­beitsverhältnis. Daß indessen der Übergang zum freien Schriftsteller alles andere als materielle Sicherstellung bedeutete, zeigten die folgenden Jahre. Aber für sein künftiges Romanwerk war es von entscheidender Bedeutung, daß er sich von einem autoritativen Druck befreit, aus einer geistigen Ab­hängigkeit entlassen fühlte, deren Auswirkungen qualvoll gewesen waren und mehr als einmal künstlerische Krisen zur Folge gehabt hatten.

Darum ist das Jahr 1870 in Fontanes schriftstellerischer Entwicklung ein Ent­scheidungsjahr geworden. Das nach den Befreiungskriegen größte Ereignis der deutschen Geschichte, der Deutsch-Französische Krieg, wird zum Ausgangs­punkt für seine künstlerische Neubesinnung. .Ich sehe klar ein, daß ich eigent­lich erst beim 70er Kriegsbuche und dann beim Schreiben meines Romans (.Vor dem Sturm', d. V.) ein Schrittsteller geworden bin, d. h. ein Mann, der sein Metier als eine Kunst betreibt; als eine Kunst, deren Anforderungen er kennt' (an Emilie Fontane, 17. August 1882).

Eine Mittelstellung in seinem Schaffen nimmt das Jahr 1870 auch in einem äußeren Sinn ein: Mit zwanzig Jahren hatte Fontane seine ersten dichterischen Werke vorgelegt: eine Versnovelle und lyrische Gedichte. Später folgten Bal-

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