Heft 
(1970) 10
Seite
97
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laden aus der englischen und preußischen Geschichte, Publizistik, Reiseberichte und Feuilletons aus England und Schottland. Und während 1860 das Jahr, in dem er in die Redaktion der .Kreuzzeitung' eintritt, als vorläufiger Ab­schluß des lyrischen Schaffens die Balladen in einer Buchausgabe erscheinen, arbeitet Fontane am ersten Band der .Wanderungen durch die Mark Branden­burg', in denen er Landschaft, Menschen und Geschichte der engeren Heimat entdeckt.

Doch so bedeutsam die Quantität der ersten dreißig Schaffensjahre und ihre künstlerisch-publizistischen Leistungen sind, die eigentliche Erfüllung werden erst die nächsten drei Jahrzehnte bringen: Zwischen .Vor dem Sturm' (1878) und dem .Stechlin' (1899) entsteht nun ein episches Alterswerk von weltlite­rarischem Rang. .Kriegsgefangen' und .Aus den Tagen der Okkupation' (als die beiden persönlichsten und direktesten Begegnungen mit dem Krieg) sind weitgehend noch von der balladesken und journalistischen Geschichtsdarstel­lung der ersten Schaffensperiode geprägt; die direkte Begegnung mit dem Krieg gibt ihnen jedoch eine menschliche Tiefe und Hintergründigkeit, wie sie Fontanes Werk zuvor nicht auswies, und von hier aus lassen sich Entwick­lungslinien verfolgen, die mitten ins Spätwerk weisen. Es sind Bücher des Übergangs und der Entwicklung mit allen Reizen, aller Dynamik des Spon­tanen und allen Grenzen, die solchen Leistungen gesetzt sind: Den Urteilen, Meinungen und Kommentaren kommt oft nichts Endgültiges zu Irrtümer und Mißverständnisse brauchen indes nach 100 Jahren nicht in jedem Falle vermerkt zu werden; es sind Impressionen, die aus dem Tag heraus ge­geben wurden; aber die großen Fragen, mit denen die Menschen im Krieg konfrontiert werden, zwingen Fontane, seine menschlichen Qualitäten beim Schreiben zu offenbaren, und diese weisen über den Tag und das Jahrhundert hinaus. Der Unterschied zu den übrigen Kriegsbüchern Fontanes ist darum be­deutend. Jene waren in erster Linie Gelegenheitsarbeiten, die ihre Entstehung dem Angebot des Verlages danken mochten, das sich mit Fontanes Interesse für Historie traf. Der halboffizielle Charakter dieser Werke (sie wurden, ohne dadurch besondere öffentliche Anerkennung zu erlangen, dem Kaiser vor­gelegt) verbot eine anekdotische Behandlung des Themas. Die Erfordernis, eine Riesenfülle von Stoff auszuwählen und möglichst sachgemäß und unper­sönlich darzustellen, weist auf die Grenzen dieser Werke. Schlachtberichte und militärische Einzelheiten allein (das gilt besonders für das Buch über den Krieg von 1870/71) konnten vielleicht die Veteranen interessieren, nicht aber das Menschheitliche und Gültige am Einzelfall zeigen. Das sollte Fontane erst gelingen, als der Krieg ihn aus seiner Beobachterrolle herausriß und mit einer anderen Wirklichkeit konfrontierte, als sie der Chronist registrierte. Darum ist es im höchsten Grade aufschlußreich, wenn sich hier zum ersten Male und nicht in den repräsentativen Kriegsbüchern eine Distanzierung vom Preußentum anzeigt.

II

Fontane, der sich eben aus den allzu engen Bindungen an die preußische Reaktion gelöst hatte, konnte die sich überstürzenden Ereignisse zwischen den Sommern 1870 und 1871 nur schwer übersehen, zumal er als Mit-Erlebender und Mit-Leidender selbst in den Strudel des Geschehens hineingezogen war.