Heft 
(1970) 10
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Schon am 2. November versprach Jules Favre, Minister des Auswärtigen, die Freilassung. Am 29. November konnte Fontane die Heimreise antreten, am 5. Dezember war er wieder in Berlin.

Die Zusammenhänge seiner Befreiung hat er nie erfahren; wohl aber wußte er, daß er sein Leben im Grunde der gegenüber preußischen Militär­gepflogenheiten humaneren und korrekten französischen Kriegsgerichtsbarkeit zu danken hatte. Am 6. Mai 1894 schreibt er an August von Heyden: .Alles bei uns ist roh, kommissig, urdämlich ... Aber in einem Menschen lesen, ihn einigermaßen richtig taxieren o du himmlischer Vater! Deshalb haben mir auch Anno 70 alle preußischen Offiziere gesagt; .Bei uns wären Sie erschossen worden'.'

Es spricht für Fontanes Redlichkeit, daß er sofort nach seiner Heimkehr die preußischen Militärbehörden nachdrücklich um die Freilassung eines höheren französischen Offiziers bat, wie dies der Kardinal-Erzbischof Cesaire Mathieu und der Justizminister Cremieux unabhängig von einander vorgeschlagen hatten. Zwei Tage nach seiner Heimkehr schreibt er an das Königliche Allge­meine Kriegsdepartement u. a.: .Ich füge hinzu, daß es mich glücklich machen würde, von Erfüllung dieses Wunsches zu hören, und zwar um so mehr, als ich während meiner Gefangenschaft viel Wohlwollen von seiten unseres Feindes erfahren habe und ohne Ausnahme aufs humanste behandelt worden bin.' Diese Bitte erneuert er in einem Schreiben nach Versailles an den Kriegs­minister von Roon am 20. Dezember, nachdem sein erstes Gesuch abgelehnt worden war: ,Ich bezweifle keinen Augenblick die Korrektheit dieses Verfah­rens, wende mich aber doch in einem Gefühl persönlichen Verschuldetseins für viel empfangene Nachsicht mit der nochmaligen Frage direkt an Ew. Exel­lenz, ob es nicht vielleicht ausnahmesweise sich ermöglichen möchte, einen der vorstehend genannten Herren die Freiheit zu geben.' Damit aber stieß Fontane gegen unerschütterliche Prinzipien seines Landes: Menschlichkeit ist zwar ein Modus der Dichtung, aber nicht der preußischen Administration. Dies sollte Fontane in den folgenden Jahrzehnten noch oft erfahren und öfter ge­stalten. .Macht ihm alle Ehre, kann aber nicht willfahren', schrieb der Kriegs­minister auf den Rand des Gesuches.

Die Leser der .Vossischen Zeitung' erwarteten Schreckensnachrichten, die den Haß gegen den .Erbfeind' schüren sollten. Davon findet sich bei aller kriti­schen und oft subjektiv befangenen Betrachtungsweise im einzelnen nicht ein Wort. ,Um das Rhinozeros zu sehen, drängt sich jetzt alles an mich, nicht bloß an meine Person, sondern selbst an noch ungeborene Manuskripte. Mir wird ganz angst dabei. Denn einmal hab ich das schmerzliche Gefühl, mich auf dieser Tageshöhe unmöglich halten zu können; andererseits erscheint mir selbst die Tageshöhe so unverdient, so sehr aus einem Irrtum hervor­gewachsen, daß eine rasche Enttäuschung kaum ausbleiben kann. Die Leute erwarten eine haarsträubende Räubergeschichte mit Hungertum und Ketten­gerassel, und was ich ihnen zu bieten habe, ist zu neun Zehntel ein Idyll. Der .Gartenlaube', die von Sensationsgeschichten lebt und natürlich unter den ersten war, die sich meldeten, hab ich eben geschrieben, daß sie sich trösten könne, es entginge ihr nicht viel.' Dies teilte Fontane seinem Verleger von Decker am 13. Dezember 1870 mit reichlich eine Woche nach seiner Heim­kehr.

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