In Wahrheit ist sein gesellschaftlicher und künstlerischer Standort weit entfernt von dem der preußischen Militärs — auch wenn er in den ,Wanderungen durch die Mark Brandenburg' und den Balladen ihre Welt und ihre .heroische' Epoche gestaltet hat und jetzt mit ihnen am gleichen Tisch saß — im Hotel .Grand Cerf' beispielsweise, wo auch der junge Seconde-Leutnant Paul von Beneckendorff und Hindenburg, späterer Generalfeldmarschall und Präsident der Weimarer Republik, wohnte und täglich nach Paris hineinsah — oder im Theater von St. Denis, wo ein junger Dragoneroffizier, den Kneifer ans Auge setzend, sein Urteil über die Primaballerina militärisch kenntnisreich zusammenfaßt: .Schade, etwas schwach im Oberschenkel!'
Die folgenden Reflexionen zeigen die Kluft, die Fontane von seinen Gefährten trennt: .Draußen flackerten ein paar Laternen; einzelne Tropfen fielen, ,1ns Cafe!' riefen jetzt zwanzig Stimmen. Von Mont Valerien aber rollten die Kanonenschüsse dumpf durch die regenschwere Luft. Gewohnheit ist alles. Ich glaube, ich war der einzige, der diesen Donner noch hörte.'
In diesem Kreise war er der einzige! Achtzehn Jahre später hat er die Szenen noch nicht vergessen: Im 22. Kapitel des Romans .Quitt' erzählt Lehnert, einst preußischer Soldat und nun Emigrant in Amerika, einem früheren Communar- den von seinen Erlebnissen: ,Da hätten er und seine Kameraden oft viele Stunden lang auf dem Höhenzuge zwischen St. Germain und St. Denis gestanden und dem Kriege wie einem richtigen Kriegsschauspiel zugesehen. Und einmal hab' er ganz deutlich beobachten können, wie die Parisischen durch eine geschickte Bewegung über die Brücke von Asnieres alles, was von Regierungstruppen in der großen Seineschleife gestanden, abgeschnitten hätten. Aber das sei freilich auch der letzte Sieg gewesen, und schon am nächsten Tage wäre der Triumphbogen von den von St. Cloud vorgehenden Bataillonen erstürmt worden. Und wenn er sich vergegenwärtige, was er bei der Gelegenheit alles gesehen hätte, so begreif' er nur zu gut, was unmittelbar darauf von seiten der Kommunards geschehen sei, und könne von Grausamkeit keine Rede sein.'
In doppelter Weise ist hier Fontanes eigene Beobachtung vor St. Denis umfunktioniert: Akteure der militärischen Operation sind nicht mehr die Versailler Regierungstruppen, sondern die Communarden, und aus der kühl distanzierenden Beobachtung ist jetzt Anteilnahme, ja Rechtfertigung der Aufständischen geworden, die sogar die Erschießung von Geiseln als eine wenn auch bittere Notwendigkeit mit einschließt. Damit ist die endgültige Absage an die Tisch- und Theatergefährten von St. Denis vollzogen. Drei Jahre vor seinem Tode, am 22. Februar 1896, schreibt Fontane an den Londoner Arzt James Morris, mit dem er seit mehr als 40 Jahren befreundet ist: .Alles Interesse ruht beim vierten Stand. Der Bourgeois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken, immer wieder dasselbe. Die neue, bessere Welt fängt er st beim vierten Stande an. Man würde das sagen können, auch wenn es sich bloß erst um Bestrebungen, um Anläufe handelte. So liegt es aber nicht. °as, was die Arbeiter denken, sprechen, schreiben, hat das Denken, Sprechen und Schreiben der altregierenden Klassen tatsächlich überholt. Alles ist viel echter, wahrer, lebensvoller. Sie, die Arbeiter, packen alles neu an, haben uicht bloß neue Ziele, sondern auch neue Wege.'
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