Auch das ist die Weisheit des alten Fontane. Seine Briefe und Manuskripte hat er noch mit selbstgeschnittenen Gänsefedern geschrieben, aber die modernen Schnellpressen druckten seine Bücher. Dem König und Kaiser wurden seine großen Kriegsbücher vorgelegt, doch der preußische Adel fehlte an seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag. — Die beiden Nebenwerke über den Deutsch-Französischen Krieg stehen in Wahrheit im Widerschein der großen sozialen Auseinandersetzungen, die das 19. Jahrhundert zu führen hatte. Sie sind Werke des Übergangs, die ins 20. Jahrhundert weisen.
IV
Die .Mühle von Sannois' war gleichsam der Punkt äußerster Distanz von der geschichtlichen Wahrheit. Das ist jedoch die Ausnahme bei Fontane. Grundgesetz seines Erzählens ist die Nähe; das von sinnlichem Leben erfüllte Detail, das unvermittelt zum Sinnbild eines Ganzen werden kann. Auf diese für ihn charakteristische Erzählhaltung hat er immer wieder hingewiesen. .Ich meinerseits bin längst soweit, mehr auf das unbekannte Kleine als auf die besternpunkteten Unerläßlichkeiten Bädeckers zu achten', schreibt er im Angesicht der Schlösser von Mouchy.
Das erinnert an das gemütliche Gespräch, das einundzwanzig Jahre später in .Frau Jenny Treibei' der pensionierte Gymnasialdirektor Friedrich Distelkamp mit Professor Schmidt führt, der viele Züge des alten Fontane trägt; .Distelkamp lächelte.' .Das sind so Schmidtiana. Du warst immer fürs Anekdotische, fürs Genrehafte. Mir gilt in der Geschichte nur das Große, nicht das Kleine, das Nebensächliche.'
,Ja und nein, Distelkamp. Das Nebensächliche, soviel ist richtig, gilt nichts, wenn es bloß nebensächlich ist, wenn nichts drin steckt. Steckt aber was drin, dann ist es die Hauptsache, denn es gibt einem dann immer das eigentlich Menschliche.'
.Poetisch magst du recht haben.'
.Das Poetische — vorausgesetzt, daß man etwas anderes darunter versteht als meine Freundin Jenny Treibei — das Poetische hat immer recht; es wächst weit über das Historische hinaus...' Stand noch in den ersten Bänden der .Wanderungen durch die Mark Brandenburg' 1863 der Sinn für das Kleine einer gültigen Gestaltung des Wesentlichen im Wege, so hat sich dies nun entscheidend gewandelt. Zwar ist die Technik noch immer feuilletonistisch in dem Sinne, daß sich Beschreibung, Schilderung und Reflexion am Zufälligen und oft Nebensächlichen entwickeln, doch jetzt ist der Wille zu Verdichtung und Sinngebung unverkennbar. .Ein Ritt' mit dem Obersten über das historische Gelände von Sedan mag bei allem liebenswürdigen Humor noch der alten, sich selbst genügenden Anekdotentechnik zuzuordnen sein, der Gang durch die Ruinen von Bitsch aber weist über sich s.elbst hinaus. Auf den Höhepunkten der Darstellung weitet sich die Enge des Anekdotischen ins Sinnbildhafte, das Gegenwart und Vergangenheit in einer anderen Intensität umfaßt, als die früheren Arbeiten! Im Schnittpunkt von Erfahrung und Erinnerung, Wissen und Vision werden die nächtlichen Zurufe der Posten auf den Mauern der Zitadelle von Oleron (.Sentinelle, prenez garde ä vous') und das Zwiegespräch Hamlets mit dem Geist seines Vaters auf der Terasse von Helsing- fors zu symbolträchtiger Einheit verschmolzen.
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