Heft 
(1970) 10
Seite
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.Kriegsgefangen' und .Aus den Tagen der Okkupation' nur als Zeugnisse von Fontanes Leben zu begreifen, würde ihnen nicht gerecht. Weit über das Bio­grafische und Historische hinaus wächst hier das Poetische, weil das Persön­liche und Zeitgebundene zugleich Abbild großer menschlicher Erlebnismöglich­keiten geworden ist. Diese sind es vor allem, die inmitten vieler Zufälligkeiten, kunstgeschichtlicher und geschichtlicher Betrachtungen von teilweise begrenz­tem Wert das Bleibende ausmachen: Jene unvergeßliche Nacht im Gefängnis von Langres, in der Fontane die Todesfurcht kennenlernt (Mr. le General. .. decidera votre sort') und diese Todesfurcht besiegt, ist ein Höhepunkt von .Kriegsgefangen'. Ähnliche Erlebnisse zeigt er in den Gesprächen der von Franctireurs gefangenen deutschen Soldaten, die nichts von Haß und Feind­schaft enthalten. Alles Nationale ist hier reduziert auf das Charakterliche: Tapferkeit und Menschlichkeit oder die Verstöße dagegen erscheinen wesentlicher als die Frage nach Sieg oder Niederlage. Auch in den zahlreichen Schlachtschilderungen tritt dieses .Kleine, das Nebensächliche', in den Vorder­grund und stiftet das .eigentlich Menschliche'.

Weil das Historische damit immer wieder zurückgenommen wird ins Anekdo­tische, kann sich in diesen Berichten, die als Ganzes so bittere Ereignisse be­treffen, Heiterkeit und Humor entfalten. Im Kleinen ist für den Erzähler Vertrauen, Gelassenheit und Übereinstimmung möglich; im Großen werden zu dieser Zeit noch Grenzen sichtbar, die Fontane in der Erkenntnis der sozialen und weltanschaulichen Zusammenhänge gesetzt sind. Er kann sich aus wahl­verwandter Zuneigung schmunzelnd mit zwei ehemaligen Franktireurs unter­halten, die nun wieder Hoteldiener sind und ihre wenig heroischen Erinne­rungen unbeschönigt preisgeben; er beobachtet, wie im Theater von St. Denis ausgerechnet die Damen der Pariser Halbwelt aus Trauer um die Niederlage in Schwarz gehen, bewundert ungeteilt jene resolute Wirtin, die den preußi­schen Offizieren mit dem Tranchiermesser droht, zeigt im Gespräch zwischen dem biederen schleswig-holsteinischen Kanonier und der Köchin über das Brennen von Kaffee eine Art schwarzen Humors und gibt ein liebenswürdiges Porträt seines Burschen Rasumofsky, der mit ihm die Gefangenschaft auf der Insel Oleron teilt.

Und gültige Zeugnisse seines Humors sind nicht zuletzt die privaten Briefe; so jene vom 2. und 4. Oktober 1870 an seine Frau Emilie. ,Je älter ich werde, je unerträglicher werden mir die Feierlichkeiten, die in neunundneunzig Fällen von hundert hinter aller Steifheit und Aufgerecktheit, hinter Denkerstirn und olympischer Schweigsamkeit nichts verbergen als Hohlheit, Wichtigtuerei und mitunter auch Feigheit. Die, die mit den Dingen spielen, an zu weitgehender Leichtlebigkeit oder doch an Mangel an Würde laborieren, sie mögen nicht die Besten sein, aber die Schlechtesten sind sie sicherlich auch nicht.' Das ist zugleich eine charakteristische Darstellung seiner ganzen Erzählhaltung. Man kann sie zu einem guten Teil aus dem Widerwillen gegen die offiziell verordnete Sprache des preußischen Patriotismus verstehen, das .Blech', der .patriotischen Erre­gung', das klassizistisch verbrauchte Schillerpathos, das von den Epigonen zu plattester Salonlyrik ausgemünzt wurde. Denn was jene, die Geibel, Wil­denbruch oder Spielhagen, über den Krieg geschrieben haben, ist nichts als das peinliche, nur noch kulturgeschichtlich aufschlußreiche Zeugnis eines Tief­standes der offiziellen Literatur.

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