Junge preußische Offiziere, mit denen er im Eisenbahnabteil sitzt ,faßten ihr Urteil über die französische Nation mit dem Kernspruch zusammen: ,alles Bande', der jüngste (kaum siebzehn) mit kavalleristischer Energie hinzufügend: ,Man muß ihnen den Daumen aufs Auge drücken.' Es schien mir nutzlos, diesen oder jenen Zweifel nur zu äußern; so schieden wir als gute Freunde. ..' Ebenso jung, aber weit einflußreicher und damit gefährlicher als die uniformierten Aufschneider ist jener ,Jung-Roland', rechte Hand eines hohen Beamten der preußischen Besatzungsmacht. In Gegenwart von gebildeten, schweigenden Elsässern rühmt er sich seiner administrativen Schurkereien, die im okkupierten Elsaß offizielle Billigung haben: ,Die beiden jungen Herren unterhielten sich also von ihren Taten, waren darüber einig, daß es Bande sei, daß sie um den Finger zu wickeln seien, wenn man sie zu nehmen verstehe, und daß man deshalb scharf zufassen müsse... Ich frage nur einfach, wie muß es einen Sechzigjährigen, ersichtlich in höheren Lebensstellungen heimisch gewesenen Mann berühren, wenn er einen Zwanzigjährigen bartlosen, zum Zeichen seiner Würde nichts als eine goldene Brille beibringenden Fremden in dieser Weise über Amtshandlungen und Administrationspraxis sprechen hört, zugleich mit eingestreuten, nicht schmeichelhaften Bemerkungen über diejenigen, die durch eben diese Praxis beglückt werden sollen?
Und wenn dieser Fall einzig dastände (wer mag dafür bürgen?), so wär' er doch gerade wichtig genug, nicht um nachträglich zu recherchieren und zu kleinen Prozeduren zu greifen, sondern um sich ernsthaft und ganz allgemein die Frage vorzulegen: ist denn wirklich alles so, daß es unsere Vorzüge klar erkennen machen muß?'
Das alles sind für Fontane wirklich Fragen; Antworten findet er noch nicht, und auch die Fragen selbst werden immer wieder vorsichtig relativiert. Das hat zum Teil ganz praktische Gründe, wie jene vorsichtige Anmerkung ausweist, in der er sich gegen offiziellen Unmut zu verteidigen sucht: ,... da ich vielfach bezichtigt worden bin, eine unverständige, selbst unpatriotische Milde in meiner Beurteilung des ,Erbfeindes' gezeigt zu haben.'
Der .Erbfeind' — das sind die Menschen in den Dörfern Lothringens, die über die absurde Grenze hinweg nach Mars la Tour in das alte französische Heimatland blicken, die sich .völlig als Bewohner einer eroberten Provinz' betrachten, ,als Beutestück dem Sieger zugefallen'. — Sind auch die Kinder in Straßburg der .Erbfeind', die den französischen Zapfenstreich .ebenso geschickt wie demonstrativ imitierend, mit ungeheurem Jubel' vorüberzogen? Es sei ein Strohhalm, an dem man die Windrichtung erkenne, meint Fontane. .Der Strohhalm ist nichts, aber der Wind ist viel. Es ist der in allen Schichten lebendige tranzösische Geist.' Ihm setzt Fontane nicht die preußische Administration, nicht .unsere Heeresverwaltung' entgegen, sondern den deutschen Geist. .Das Allerbeste, was Deutschland hat, wird dann gerade gut genug sein für — Elsaß Lothringen'. Utopische Vorstellungen von einer in den frühen Balladen gestalteten altpreußischen Idealität und die Realität der preußischen Administration stoßen hier unmittelbar aufeinander. Daß der wahre Erbfeind sich etwa in der Gestalt jenes ,Jung-Roland' verkörpert, erkennt Fontane 1871 noch nicht in der vollen geschichtlichen Tragweite. Doch am 27. Mai 1894
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