Issue 
(1970) 10
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schreibt er: .Aber wo sitzt hier überhaupt die Zunge? Der Borussismus hat keine oder eine belegte. Welch Glück, daß wir noch ein außerpreußisches Deutschland haben. Oberammergau, Bayreuth, München, Weimar das sind die Plätze, daran man sich erfreuen kann. Bei Strammstehn und Finger an der Hosennaht, wird mir schlimm. Und dabei bin ich in der Wolle gefärbter Preuße. Was müssen erst die andern empfinden!' . ..

Fontane zeigt nicht nur das andere Frankreich, das er in den Wochen der Ge­fangenschaft aus unmittelbarer Nähe erlebt hat; er zeigt auch das andere Deutschland am nachhaltigsten allerdings in der Selbstdarstellung, wenn er sich mit dem preußischen Erbfeind konfrontiert. Den jungen Heißspornen von Sedan stellt er einen Offizier gegenüber, der nur Lobendes über die Franzosen zu sagen weiß. Fontane antwortete ihm: ,Es wäre mir interessant, einem Landsmanne zu begegnen, der denn doch noch erheblich über das hinauszu­gehen scheine, was ich gelegentlich auszusprechen mich unterfinge, eine Äuße­rung, an die ich zugleich die Anempfehlung knüpfe, daheim etwas vorsichti­ger operieren zu wollen. Glauben Sie mir, so schloß ich, man toill dergleichen nicht hören; und vielleicht hat man recht.' Das ist in vorsichtiger Einschrän­kung eine deutliche Distanzierung zum offiziellen Deutschland, zumal er weiter bemerkt, Vertrauen und Entgegenkommen Humanität also übten auf den Feind eine entwaffnende Kraft aus.

Fontane weiß um die zwiespältige Lage, in der er sich als Mensch ohne Haß und Vorurteil aber eben als Preuße befindet. Er spürt den Haß, der ihn im zerstörten Meziere umgibt, kennt die Abneigungen, die besonders gegen­über den Preußen bestehen, und bekennt sich doch dazu. .Ich wollte mich eben ... an mein vis-ä-vis wenden, als dieser mir mit der freilich auf einem anderen Gebiet liegenden Frage: ,Vous etes Allemand?' zuvorkam. Ich er­widerte .Prussien', wiewohl ich seine gute Absicht ersichtlich kannte und im voraus wußte, daß meine Umwandlung des .Deutsch' in .Preußisch' gleichbe­deutend sein würde mit Stillbegräbnis jeder weiteren Konversation.

So ist Fontane auf seinen Wanderungen durch Frankreich von einer charakte­ristischen Form der Einsamkeit umgeben. Manchmal sucht er sie, wie nach dem Gespräch mit dem entgegenkommenden Franzosen, in der Reflexion humorvoll zu überwinden, will ihr bisweilen in der Fairness offener Ge­spräche begegnen aber oft fühlt er sich schmerzlich damit konfrontiert: Am Grabe des damals weltberühmten älteren Dumas zerreißt er am 27. April seine Visitenkarte mit deutschen Versen, die er hinterlassen wollte, und einen Besuch beim jüngeren Dumas, den er gleichfalls als Schriftsteller achtet, ver­sagt er sich.

.Das Schweigen des Meeres' als letzte Möglichkeit, den Willen zum Wider­stand zu bekunden! Fontane weiß um dieses Grundrecht des Gedemütigten; aber als Dichter muß er sich im Namen der Literatur, die im Medium der Sprache Gemeinsamkeiten schaffen will, dagegen verwahren. Er weiß freilich auch, daß es eine entscheidende Voraussetzung für diesen notwendigen Pro­zeß der Verständigung wäre, wenn die Sieger den Willen zeigten, mit den anderen ins Gespräch zu kommen. Dieser aber fehlt; schon deshalb, weil die elementaren sprachlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind: .Erst aus die­sem Nichtsprechen&önne«, das dann leicht die Form des Nichtsprechenwollens