Issue 
(1970) 10
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annahm, sog die nationale Gereiztheit immer neue Nahrung, während überall da, wo die Sprache einen Austausch der Ansichten und Ideen vermittelte, ein gutes, oft ein freundschaftliches Verhältnis geboren wurde. Ein solches aber wiederherzustellen, muß doch immer unser Wunsch sein, und als dem Sieger in diesem Kampfe liegt uns eine gewisse Anstandspflicht ob, die Entgegen­kommenden zu sein, die ersten Schritte zu tun. Mit denen, die das bestreiten, streit' ich nicht!"

Als Preuße bei den Besiegten verhaßt und als Freund der Franzosen innerlich von den Siegern entfremdet dies schafft im Grunde Fontanes Einsamkeit. Der Schriftsteller, dessen Aufgabe es ist, das versöhnende und verständigende Wort zu stiften, steht zwischen dem Schweigen der Franzosen und dem Nicht­sprechenwollen oder -können der Deutschen. Diese seine Not er hat sie nur in einer kleinen Fußnote ganz unverhüllt dargestellt; aber dieser peripheren Äußerung kommt eine fundamentale Bedeutung zu: In der Abteikirche von St. Denis führt ein Unteroffizier die Besucher, unter ihnen drei französische Frauen, in die Krypta. ,Zu diesen drei Frauen geriet ich unmittelbar darauf in eine wunderbare Herzensbeziehung, wenn man das Wort auch da gebrau­chen darf, wo das Herz weh tut. Der Unteroffizier, der nicht französisch sprach trat an mich heran und bat mich, die drei Frauen wissen zu lassen, daß sie wohl die Kirche oben, aber nicht diese Krypta hier unten besuchen dürfen. Ich darf sagen, daß ich mich mit zitternder Stimme dieses Auftrages entledigte. Es waren vielleicht gute Frauen, vielleicht frommen, vielleicht sogar loyalen Sinnes. Und mir, dem Fremden, fiel nun die Aufgabe zu, diese still und andächtig uns folgenden Besucher aus der Gruft ihrer Könige hinaus­zuschicken. Der Unteroffizier, in aller Strammheit des Dienstes, hatte keine Ahnung davon, daß er keinen Unpassenderen zum Dolmetscher seiner Order hätte machen können als mich.' Das Herz, uralte poetische Metapher für die Kernzone des Humanen, und die .Strammheit des Dienstes', die auch unfrei­willige Inhumanität schaffen kann, hier sind die Pole umschrieben, zwischen denen sich der Wanderer Fontane in der Landschaft seiner Zeit bewegte.

Im .Stechlin', seinem letzten Roman, ist nichts mehr von der .Strammheit des Dienstes' zu spüren, viel aber vom Herzen.

Mein Heldentum', heißt es dort im 38. Kapitel,soll heißen, was ich für Hel­dentum halte das ist nicht auf dem Schlachtfelde zu Hause, das hat keine Zeugen oder doch immer nur solche, die mit zugrunde gehn. Alles vollzieht sich stumm, einsam, weitabgewandt. Wenigstens als Regel...'

Aber trotzdem, Lorentzen, die Garde bei St. Privat ist doch mehr.'

-Ich weiß nicht, Herr von Stechlin. Echtes Heldentum, oder um's noch einmal einzuschränken, ein solches, das mich persönlich hinreißen soll, steht immer im Dienste einer Eigenidee, eines allereigensten Entschlusses ... Der Batail­lonsmut, der Mut in der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein

Herdenmut."

Vielleicht ist dieser Zwiespalt von Einsamkeit und Verlangen nach Kontakt, von der Neu-Gier des Journalisten und dem Mit-Leiden des empfindsamen Dichters das Erregendste an diesem Buch wenigstens für eine Generation, die es 100 Jahre danach auf seine Wahrheit hin befragt. Ihr werden sich als

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