Heft 
(1970) 10
Seite
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Sinnmitte nicht die Schilderungen der Schlachten offenbaren, nicht der Zusam­menbruch im Kessel bei Sedan oder das tapfere Sterben der preußischen Garde vor St. Privat alles das, was in unerträglicher Weise die Schullese­bücher vergangener Zeiten gefüllt hat; sondern die Kehrseite des Heldischen und Ruhmvollen ist es, was sie begreift; die Leiden, die der Krieg immer be­deutet, die Not, die er bringt, die Trümmer, vor denen ein Gottfried Heller steht ,und tonlos mühsam die Worte spricht: Dies war unser Haus'.

Was der Krieg bedeutet jener in Frankreich vor hundert Jahren oder jene anderen vor fünfzig und fünfundzwanzig Jahren wieder in Frankreich, in Polen, in der Sowjetunion, in Deutschland oder jener in Vietnam es kann darum am ehesten an dem Kapitel ,La maison blanche' begriffen werden. Winziges Detail im mörderischen Geschehen jener Tage, liegt das Waisenhaus an der Peripherie des Schlachtfeldes von Sedan. In Fontanes Darstellung wird es unvermittelt zum Bild des .Poetischen', das bei ihm immer ,das eigentlich Menschliche' ist. Wohl nie hat er, berühmter Dichter heroisch-preußischer Bal­laden und beamteter Chronist der Sieger, die Lauterkeit seines Charakters reiner offenbart als in jenem Augenblick, da er vor den Kindern steht, deren Eltern der Krieg erschlagen hat, und weint.

In Guy de Maupassants Novelle ,Fettklößchen' findet sich, mitten im frivol­ironischen Vortrage, eine Szene, die ernster genommen werden muß: Die erstaunten Reisenden begegnen im Winter 1870/71 in Nordfrankreich deut­schen Soldaten, die in ihren Quartieren geduldig alle Arbeiten verrichten, die ihnen zugewiesen werden. Der Kirchendiener erklärt es: »Oh! die da sind nicht bösartig; man sagt, das sind gar keine Preußen... und sie haben alle Frau und Kinder zu Hause lassen müssen; ach, denen macht der Krieg keinen Spaß! Ich glaube sicher, daß man dort drüben auch nach den Männern weint; und das wird bei ihnen dasselbe Elend geben wie bei uns ... Sehen Sie, Herr, unter armen Leuten muß eins schon dem andern helfen... Den Krieg machen die Großen.'

Entrüstet über das herzliche Einvernehmen zwischen den Siegern und Besieg­ten, kehrte Cornudet um; er zog es vor, sich im Gasthof aufzuhalten. Loiseau machte einen Witz: ,Sie sind beim Wiederbevölkern!'

Herr Carre-Lamadon sagte ernst: ,Sie sind beim Wiedergutmachen!"

Der letzte Satz ist ein gewichtiges Schlüsselwort; humaner Kontrapunkt zu der spritzig-boshaften Geschichte von der patriotischen Dirne, dem preußischen Leutnant und den heuchlerischen Bürgern. Es sei auch das Schlüsselwort für Fontanes Erlebnisberichte aus jenem Kriege.

.Kriegsgefangen' wurde 1892 ins Französische übersetzt; germanistische Insti­tute an französischen Hochschulen verwendeten die deutschen Texte als Übungsmaterial.

,Es ist schon einige Zeit von einer allgemeinen Weltliteratur die Rede', heißt es bei Goethe, ,und zwar nicht mit Unrecht: denn die Nationen, in den fürch­terlichsten Kriegen durcheinandergeschüttelt, sodann wieder auf sich selbst einzeln zurückgeführt, hatten zu bemerken, daß sie manches Fremdes gewahr worden, in sich aufgenommen, bisher unbekannte geistige Bedürfnisse hie und da empfunden. Daraus entstand das Gefühl nachbarlicher Verhältnisse, und

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