Hans-Heinrich Reuter, der Verfasser der großen Fontane-Monographie, edierte die 108 Briefe Fontanes an Rodenberg (geschrieben in den Jahren 1871 bis 1896) erstmals vollständig aus den im Goethe-Schiller-Archiv zu Weimar befindlichen Manuskripten. Der an ergänzenden Beilagen, Erläuterungen, Nachweisen, Bibliographien und Registern reiche Band ist eine editorische Meisterleistung. Diese Feststellung enthält keine Übertreibung. Für die Erforschung der literarischen Publizistik der wilhelminischen Ära ist der Reutersche Kommentar, der sehr viel ungedrucktes Material (unter anderem die Tagebücher Rodenbergs und Fontanes) mitverwendet, überaus ergiebig. Insbesondere ist das Buch eine bedeutende Quelle für literarsoziologische Studien.
Die Einleitung wirft Licht auf die spannungsreiche Beziehung zwischen dem Dichter und dem literarischen Unternehmer. Reuter kommentiert die ausgesprochen diplomatische Korrespondenz auf der Grundlage seiner unerreicht ausgedehnten Kenntnis des Fontaneschen Briefwerks. Rodenbergs »selbstsüchtige, sich überschlagende Klugheit' (Fontane in seinem Tagebuch) macht es dem Dichter nicht leicht und führt schließlich dazu, daß Fontane verstummt. Den Stechlin bekommt Rodenberg nicht mehr. — Doch so zurückhaltend und distanziert die Briefe Fontanes unter diesen Umständen auch ausgefallen sein mögen und so sehr sich Fontane alle rechte Plauderei dem ungeliebten Adressaten gegenüber verkniffen haben mag, echt Fontanesches findet sich gleichwohl an vielen Stellen. Rodenberg hat wie Fontane eine Zeit seines Lebens in England verbracht. Das gibt der Anglophilie Fontanes Anknüpfungspunkte: »in den Erscheinungsformen", so schreibt Fontane 1891, »sind wir nach wie vor [gegenüber den Engländern) weit zurück; das Knotentum (die Ungeschliffenheit) sitzt uns zu tief, zum Teil mit der Überzeugung verquickt: .Das sei das Wahre" (43). —
Einzelnes aus der vorliegenden Korrespondenz fand bereits Aufnahme in die von O. Pniower und P. Schlenther 1910 herausgebrachte Ausgabe der Freundesbriefe. Auch hier verdanken wir es wie in vielen anderen Fällen Reuter, daß wir allenthalben mit dem ungekürzten und ungereinigten Text bekannt gemacht werden. So zum Beispiel in Fontanes Bericht über die fischveredelnde Kraft eines märkischen Sees: »...nur der Kleeßener See hat Sand und Kalk (wie der Limfjord), so daß sein Wasser durchsichtig ist und man bis auf den Grund sehen kann. In diesen See senden nun die sumpfigen Nachbargewässer dann und wann etwas von ihrem Fischreichtum, Aale, Schleie, Bleie, sämtlich moorig... Kaum aber in den Kleeßener See getreten, beginnt das Purga- torium, der Reinigungs- und Veredelungsakt all dieser Rowdies und Kommißknüppel, und eh ein halb Jahr um ist, ist aus dem Moor-Aal ein Edel-Aal geworden ... Ich habe in Kleeßen ein Stück von solchem Aal gegessen, an dem nichts Gemeines mehr war, ausgenommen seine kolossale Dicke. Denn das Edle muß auch immer schlank sein. Bismarck z. B. konnte nicht edel werden." (37) — Den letzten Satz hatte man uns bis jetzt vorenthalten. —
Als Typ hat Reuter Julius Rodenberg außerordentlich klarsichtig erfaßt. Was das Geschäftliche und die vorwiegende Orientierung an »Trend' und dergleichen angeht, so liegen die Dinge in der sogenannten »Wohlstandsepoche" kaum anders. Kultur-Journalismus als Anpassung und als Grundsatzlosigkeit (vor allem das zweite) sind uns nur zu sehr vertraut. In seinem Zeitalter ist Fontane die große Ausnahme. Dieser „Empiriker" hat Grundsätze, ohne auf
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