Heft 
(1970) 11
Seite
151
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CHRISTA SCHULTZE (Berlin)

Fontane und Wolfsohn. Unbekannte Materialien

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Im vergangenen Jahr wies Charlotte Jolles im Nachtrag ihrer ergänzenden BemerkungenZu Fontanes literarischer Entwicklung im Vormärz" auf einen Brief des Philologiestudenten und späteren Sanskritisten Max Müller aus Leipzig an den jungen, nachElbflorenz' verzogenen Apotheker vom November oder Dezember 1842 hin 1 , der sich in Schreibmaschinenschrift im Fontane- Archiv Potsdam befindet und auch über Fontanes Beziehung zu Wilhelm Wolf­sohn neuen Aufschluß bietet. Dieser Brief Müllers wird hier nach Jolles' kürz- licher Publikation der Korrespondenzen Fontanes aus Dresden vom September bis November 1842 2 , seinem undatierten, von ihr mit ca. 8. Juli 1842 angesetz­ten Brief an Wolfsohn 3 und Richard Kerstings Briefen' 1 als viertes Dokument aus des Dichters wenig erforschter Dresdner Periode vorgelegt. Der undatierte Brief des neunzehnjährigen Müller, von dem einige Sätze in englischer Über­tragung 1902 von seiner Witwe Georgina veröffentlicht wurden 5 , lautet nach der Abschrift 5 im Potsdamer Archiv:

Stumm wie ein Fisch! lieber Fontane. Wozu geht denn tagtäglich die Leipzig- Dresdner Eisenbahn, wenn Sie sich nicht einmal die Zeit nehmen wollen, mir einige Zeilen zukommen zu lassen, besonders da Sie in letzter Zeit ja so manches hatten, worüber Sie mir etwas hätten mitteilen können. Ich bin eine Zeitlang nicht gut auf Sie zu sprechen gewesen und hatte so manches auf dem Herzen, was ich Ihnen sagen wollte. Nun, viel haben Sie daran nicht verloren, besonders da Wolfsohn, wie ich höre. Ihnen offen seine Meinung gesagt hat. 1 Wir wollen also das Redaktionsthema auf sich beruhen lassen, obgleich ich Ihnen sage, daß ich mich gefreut hätte, wenn Sie das Anerbieten unter besse­ren Bedingungen hätten annehmen können. Es wäre mir wenigstens nicht ein­gefallen, Sie davon abzureden, denn ich glaube, man muß hier nicht eingreifen wollen, sondern die Welt ihren Lauf gehen lassen. Sie würden allerdings mit mancher Not zu kämpfen gehabt haben, aber ich glaube, wenn Sie körperlich stark geblieben wären, so hätten Sie auch wohl die Kraft gehabt, sich durch­zuarbeiten. Nun es nicht so geworden ist, können Sie auch zufrieden sein, denn auf jeden Fall befinden Sie sich jetzt wohler, wie als Redakteur der »Eisenbahn". 3

Hoffentlich sind Sie in der Zeit nicht müßig gewesen und lassen uns bald einmal etwas Neues und Gutes hören; es schien mir, als Sie das letzte Mal hier waren, als wären Sie sich einer frischen, inneren Kraft bewußt und Wenn die da ist, muß man die Zeit nicht ungenutzt lassen. Wenn Sie sich treu bleiben und nicht in das Geschrei der Dichter stimmen, welche überall ihr kleines Selbst und nirgends die allgemeine Sache im Herzen tragen, so muß schon etwas Tüchtiges geleistet werden. Aber nur kein Sprung gegen sich selbst. Ein Dichter muß seine eigenen Kinder fressen können (Bon appetit!).