Christa Schullze (Berlin)
Fontanes „Hetwegh-Klub“ und die studentische Progreßbewegung 1841/42 in Leipzig
„Da steh ich kämpfend für sie alle,/ die unterdrückt,/ Und ob ich siege oder falle, ich bin beglückt“, schrieb Karl Hermann Schauenburg Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts an den besorgten Vater, Domänen-Rentmeister und Hausbesitzer in Herford, um die innere Notwendigkeit seiner Beteiligung an der verbotenen Leipziger Burschenschaft verständlich zu machen. Die Verse verdeutlichen nicht nur Schauenburgs jugendlich-enthusiastische, den Einsatz für Schwächere als beglük- kende Pflicht empfindende Natur, sondern das ethische Prinzip überhaupt, aus dem heraus damals die Besten unter den Studenten sich in einer fortschrittlich-oppositionellen Bewegung zusammenfanden.
Itn vierten Kapitel seiner Erinnerungen „Von Zwanzig bis Dreißig“ (1897) hat Theodor Fontane neben der Erwähnung Schauenburgs, Hermann Krieges, Georg Günthers und Robert Binders weitere Namen aus den Reihen dieser Bewegung Revue passieren lassen, als er von seiner Bekanntschaft mit einem Dutzend „anderer Studenten, meistens Burschenschafter, einige schon von älterem Datum“ berichtete: „Köhler (Ludwig), Prowe, Semisch oder Semig, Pritzel, Friedensburg, Dr. Cruciger, Dr. Wilhelm Wolfsohn, Max Müller.“ Er stellte sie als Mitglieder eines „Leipziger Dichtervereins“ vor, den er „Herwegh-Klub“ nannte, und in den er sich, „als der Sommer 1841 auf die Neige ging“, durch Schauenburg und Kriege eingeführt sah. Der wirklichen Bedeutung dieses Klubs wird Fontane allerdings nicht gerecht. Eine schwache Andeutung seiner tatsächlichen Substanz findet sich etliche Seiten vor dieser Namensaufzählung im dritten Kapitel, wo er von dem Beginn seiner „literarischen Beziehungen“ sagt: „Die fangen für einen jungen draußenstehenden Mann immer erst an, wenn sich etwas von Geheimbund oder mindestens Clique mit einmischt; erst wenn man Fühlung mit der Gegenwart hat, noch besser Friktionen, die dann zu Streit und Kampf führen — das sind dann literarische Beziehungen. Sie sind ohne Gegnerschaft kaum denkbar.“
Von Fontane selbst auf die Spur eines „Dichtervereins“ geführt, blieb die Fontane-Forschung über die tieferen Zusammenhänge des „Herwegh- Klubs“ seitdem im Dunkeln. Auch unsere kürzliche Auffindung (1963) eines Briefes aus dem Jahre 1897, in dem der greise Dichter den Verschwörungscharakter des Klubs durch die Bezeichnung „Vor-Vor-Rütli“ streifte, verwirrte durch die (wir sagen vorweg: der Wirklichkeit nicht ganz entsprechende) Hinzufügung der Namen Robert Blums und Hermann Jellineks, der Opfer Windischgrätz’ im November 1848 in Wien, mehr, als daß der Schleier gelüftet worden wäre. Bei der augenblicklich m der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland sich vollziehenden Neuentdeckung des jungen Fontane als eines profilierten Vormärzlyrikers muß die fehlende Klarheit über einen Umgang, der, wenn nicht Quelle, so doch Befruchtung und Ansporn dieser
327