Steller und Dichter vom Range Fontanes den Landstrich von Küstrin bis Frankfurt zum Schauplatz wählte, als er die Vorwehen weltgeschichtlicher Ereignisse, der Befreiung Preußens vom napoleonischen Joch, in einem großangelegten Zeitgemälde schildern wollte. Denn kein wissenschaftliches Buch vermag einem allerweitesten Kreise das lebendige Bild einer Landschaft und ihrer Bewohner so eindringlich zu vermitteln wie das Werk des Dichters, und was auf diesem Felde etwa Scheffel für die alemannischen Gaue, die Droste-Hülshoff für Westfalen, Storm für Schleswig-Holstein getan hatten, das wurde durch Fontanes Roman nun auch diesem Stück märkischer Erde zuteil, das nach der durchschnittlichen Auffassung kaum unter die bemerkenswerteren im deutschen Vaterlande zu zählen war. Wie kein anderer war Fontane für diese selbstgewählte Aufgabe vorbereitet. Unter allen Schriftstellern gab es keinen besseren Kenner der Mark, als er es war, der Verfasser der „Wanderungen“, von denen zur Zeit der Vollendung des Romans bereits drei Bände Vorlagen. Zu ihnen gehörte auch das „Oderland“, dessen Schilderungen zum größeren Teil der Stadt Küstrin, dem Kreise Lebus und dem Oderbruche gewidmet sind und wo also bereits Schauplätze des Romans behandelt werden.
Überdies war der Dichter mit keinem anderen Landstrich seiner Heimatprovinz durch persönliche Beziehungen und Erlebnisse so innig vertraut und verbunden, wie mit diesem; denn während er seine Vaterstadt Neu- Ruppin bereits im Knabenalter verlassen hatte, war er später als Mann viele Jahre hindurch zu Wochen- und monatelangen Besuchen in die Letschiner Apotheke seines Vaters gekommen und hatte Gelegenheit gehabt, Land und Leute gründlich zu studieren. Nicht zuletzt waren es Erwägungen und Anregungen historisch-stofflicher Art, die ihm das Land Lebus als Schauplatz des Romans empfahlen, wobei vor allem die Tatsache mitsprach, daß er von vornherein Ludwig von der Marwitz, den Schloßherm von Friedersdorf, zum Helden ausersehen hatte.
Als Fontane „Vor dem Sturm“ zu schreiben begann, stand er im 45. Lebensjahre. Seit einem Jahrzehnt Mitarbeiter der Kreuzzeitung, war er dem Publikum als Schriftsteller leidlich bekannt, vornehmlich durch seine Wanderbücher aus England und aus der Mark. Seine eigentliche dichterische Produktivität hatte sich jedoch bisher auf das Gebiet der Lyrik beschränkt. Jetzt, im Winter 1863/64, wandte er sich zum ersten Male einem Roman zu, um ein Bild jener Generation zu geben, deren Erhebung für ihn als die höchste sittliche Leistung der preußischen Geschichte galt. Er konnte kaum ahnen, daß eben in diesen Winterwochen sich geschichtliche Entscheidungen anbahnten. Fontane selbst berichtet in einem Briefe vom 11. Februar 1896 über die Anfänge dieser Arbeit: „Das Buch ist schon aus dem Winter 1863 '64, und ich schrieb abends und nachts die ersten Kapitel — die, glaub’ ich, auch die besten geblieben sind — während die österreichischen Brigaden unter meinem Fenster vorüberfuhren; und wenn zuletzt die Geschütze kamen, zitterte das ganze Haus, und ich lief ans Fenster und sah auf das wunderbare Bild: die Lowries, die Kanonen, die Leute hingestreckt auf die Lafetten, und alles von
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